Da
ich selbst auch Uhren entwerfe, werde ich oft mit der Frage konfrontiert, was
ich denn da den ganzen Tag tue. Schließlich gibt es ja alle erdenklichen Sorten
von Uhren, und fast alles, was wir bauen, gab es in etwas anderem Gewande
sicher schon einmal. Und wenn man einfach nur wissen will, wie spät es ist,
kann man diese Information von allen möglichen Quellen und Kanälen beziehen.
Trotzdem
werden auch heute Uhren erdacht und gebaut. Für die einen ist es ein
besonderer, persönlicher Schmuck, für andere eine nüchterne Geldanlage, auch
Repräsentation und Sammelleidenschaften spielen heute eine Rolle.
Es
gibt aber auch Menschen, für die ist eine Uhr, der sie eine Person zuordnen
können, so etwas wie in Metall geformte Lebenszeit und Energie dieses Menschen.
Sie kann die Geschichte dieses Stück Lebens, in der sie entstand, erzählen.
Im
Falle von Christian Kling's Taschenuhr mit Tourbillon Nr.2 sind es 15
Lebensjahre, in denen er sich immer wieder mit ihr beschäftigte. Denn sie wurde
ursprünglich nicht mit dem Ziel gebaut, eine Ware zu sein und verkauft zu
werden. Christian Klings ist ein bedeutender selbständiger Uhrmacher unserer
Zeit, der alleine in der Lage ist, komplette Kleinuhrwerke und die
dazugehörigen Gehäuse zu bauen. Durch seine Armbanduhren mit
Chronometerhemmungen und Tourbillons wurde er bekannt und hat besonders auf dem
Gebiet, die Chronometerhemmung für den Einsatz in Armbanduhren tauglich zu machen, beachtliches geleistet. Aber er ist Uhrmacher
und seine Uhren entstehen während der Arbeit aus einer Idee heraus. Es gibt
keine kompletten Pläne vorher, nur Skizzen, zwischendurch auch mal Berechnungen
und eben viel Ausprobieren. Gerade wenn man wie er vieles mit einfachen
Maschinen und von Hand herstellt, ist es besser, zunächst mal ein etwas
größeres Uhrwerk zu haben, um eine Idee zu testen und ihre beste Umsetzung
auszuloten.
Christian
begann deshalb 2001, ein kleines neusilbernes Taschenuhrwerk für diese Zwecke
umzubauen. Sein Ziel war es, einen Tourbillonkäfig mit einer
Feder-Chronometerhemmung so auszuführen, daß die beiden Hauptprobleme dieser
Hemmung, das Durchgaloppieren und das Anhalten, so zu beherrschen sind, daß die Uhr zuverlässig und benutzbar wird. Wenn
bei diesen Begriffen jetzt beim Leser nur Fragezeichen auf der Stirne stehen,
keine Sorge, ich werde versuchen, das in einem speziellen Abschnitt noch
vertändlich zu erklären.
Er
fertigte einen schönen großen Stahlkäfig in der für Glashütter Uhren typischen
Omega-Form an, so wie sie Alfred Helwig verwendete. Alleine das ist in der
Größe eine Meisterleistung. Der Laie wird jetzt meinen, aber kleiner ist doch
schwieriger-verständlich. Denn um die Schwierigkeiten einschätzen zu können,
muß man wissen, daß diese Stahlteile durch Glühen, Abschrecken und leichtes
Erwärmen (das sogenannte Anlassen) gehärtet werden, damit sie sich polieren
lassen und den mechanischen Beanspruchungen standhalten. Dabei verziehen sie
sich oft mehr oder weniger und können sogar reißen.
Wir
Uhrmacher möchten gerade in der heutigen Zeit die technischen Bestandteile der
Uhr so formen und bearbeiten, daß sie schön und ästhetisch erscheinen. Denn dem
Betrachter immer wieder, auch nach wiederholtem intensiven Anschauen, Freude zu
bereiten, ist einer der Anliegen von uns Uhrmachern. Deshalb muß nun bei diesem
komplizierten Käfig jede Fläche sauber poliert und vor allem jede
Kantenbrechung bis in ihre spitz zulaufende Ecke ausgeschliffen und poliert
werden.
Bei
Christian Klings Taschenuhr kann der Betrachter sehr schön nachvollziehen,
welchen Weg Kraft und Bewegung beim Tourbillon gehen. Wir sehen einen feinen,
messingfarbenen Zahnkranz, der sich mit dem Gestell bewegt und seine Kraft aus
dem federgetriebenen Laufwerk über das kleine stählerne Zahnrad in der Ecke
bekommt. Der Käfig wird also angetrieben. Aber Kraft und Drehung sollen das massivgoldene Hemmungsrad der Federhemmung erreichen, damit es
bei jeder Schwingung mit einem seiner Zähne die Unruh anschieben und diese so
am Schwingen erhalten kann. Dazu sehen wir innen einen zweiten kleineren
Zahnkranz, der fest auf der Platine montiert ist. An diesem rollt sich, wenn
sich der Tourbillonkäfig dreht, das Trieb unseres Hemmungsrades ab und wird
somit durch die Drehung des Käfigs gleichfalls in Rotation versetzt.
Aber
wozu nun das Ganze? Die Erfindung stammt von Breguet, welcher erkannte, daß
sich das System Hemmung-Unruh nie komplett auswuchten läßt und so die
Schwerkraft den Gang der Uhr immer ändern wird, wenn man diese um die Achse der
Unruh dreht. Also packte er eben alle Bestandteile des Systems Hemmung-Unruh
gleich in einen Käfig und ließ ihn rotieren, so daß sich an den Zeigern alle
schwerkraftbedingten Fehler ausmitteln.
Aber
wir wissen ja auch aus Erfahrung, wo mehr Teile sind, gibt es auch mehr
Probleme und Ärgernisse. Der Käfig selbst muß sehr genau ausgewuchtet sein, und
das ist bei der komplizierten Form schon eine Herausforderung.
Da
Christian ohne Hilfe von computergestützten Zeichenprogrammen arbeitet, die
einem die Lage des Masseschwerpunktes sofort anzeigen, mußte er alles von Hand
ausprobieren. So finden wir auch an diesem Käfig ein großes und zwei kleine Gewichte, mit dem man
das komplette Stück leichter auswuchten kann. Denn jedes Mal, wenn Christian
etwas an seiner Hemmung oder dem Gestell veränderte, mußte er den Käfig
hinterher neu wuchten.
Aber
was hat Christian im Laufe der Jahre an dieser Uhr alles ausprobiert? Welche anderen
Überlegungen und Ideen hat sie begleitet? Denn eines dürfte selbstverständlich
sein: eine Uhr, die aus dem Leben erzählt, wird nicht perfekt sein. Sie hat die
ganzen Ecken und Kanten, Erfolge und Enttäuschungen mitgemacht und Spuren
davongetragen. Aber sie ist, wie ich schon sagte, etwas von dem, was für uns am
kostbarsten ist, in Metall geformt: Lebenszeit, mit ihren Ideen, Träumen und
Anschauungen. Sie gibt Zeugnis von Erfolgen und Irrwegen. Und nur, wenn man sie
so sehen kann, wird man sich ungestört an ihr erfreuen.