Warum
der Wirkungsgrad der Hemmung in Kleinuhren so gering ist
Jedes
Jahr zur Baseler Uhrenmesse freue ich mich am meisten auf den Besuch des
kleinen Standes der AHCI, denn hier bestimmt noch die Uhr selbst die Gestaltung
der Ausstellungsfläche. Ich besuche dann fast immer Miki Eleta, einen
Uhrenkünstler, der in Zürich seine Werkstatt hat und eigentlich von der
Metallbildhauerei über die Gestaltung bewegter Objekte schließlich zu den Uhren
gelangt ist.
Dadurch
ist er nicht von dem Zwang vieler Uhrmacher belastet, etwas so und nicht anders
machen zu müssen, weil das die Generationen zuvor auch schon immer so getan
haben. Voriges Jahr hatte er einen Uhrwerks-UFO kreiert. Umringt von kleinen
grünen Männchen aus Glas stand da ein rundes, goldfarbenes Objekt auf schlanken
Füßen. Auch im Gehäuse tummeln sich die Außerirdischen auf einer Spiegelfläche und
passen auf, daß das große Federhaus am Platz bleibt.
Wie immer muß man bei Mikis Uhren etwas
rätseln, bis man weiß, auf welche Weise hier die Zeit angezeigt wird. Inmitten
der Zahnräder und der waagerechten Zifferblätter erhebt sich ein Arm, an dessen
Ende die Unruh schwingt. Es ist ein Nachspannwerk, das Gewicht des Armes
liefert der Unruh den Antrieb. Ist der Arm fast waagerecht abgesunken, löst er
das Federwerk aus, welches ihn wieder anhebt. Da Miki gerne mit
Chronometerhemmungen experimentiert (auch seine Pendeluhren haben eine solche
patentierte Hemmung), hat er auch hier eine Wippenhemmung verbaut.
Mir
fiel sofort auf, daß die Hemmung hinkte, oder wir Uhrmacher würden sagen, der
Abfall stimmt noch nicht. Ich meinte zu Miki: "Da hast Du es wohl vor der
Messe nicht mehr geschafft, den Abfall zu ziehen?" Miki war entrüstet.
"Ach, ihr Uhrmacher! Ihr denkt auch, daß alles immer so sein muß, wie ihr
Euch das vorstellt! Wieso soll die Unruh genau dort ihren Schubs bekommen, wo
sie am schnellsten ist? Wenn Du ein Kind auf der Schaukel anschiebst, dann machst
Du das doch auch nicht in der Mitte der Schwingung! Du wartest, bis es am
Umkehrpunkt ist, und dann schiebst Du an!"
Über
diesen Satz mußte ich eine Weile nachdenken. In der Uhrmacherei legen wir immer
den Angriffspunkt der Hemmung in den Nulldurchgang. Das hat für uns sehr viele
Gründe. Den ersten hat auch Miki zu spüren bekommen, denn er meinte, er habe
eine ganze Weile gebraucht, die Uhr so weit zu bringen, daß sie nicht
stehenbleibt. Nur wenn der Impuls im Nulldurchgang kommt, kann die Uhr ja auch
von alleine anlaufen. Verschieben wir die Impulslage, bleibt die Uhr stehen,
wenn die Amplitude so klein wird, daß die Unruh die Hemmung gar nicht mehr
erreicht. Andere Gründe finden wir in "Feinstellung der Uhren" von
Giebel und Helwig. Die Impulse, die die Hemmung entzieht und ausgibt, wirken
beschleunigend und verzögernd auf die Schwingungsdauer der Unruh. Das hängt
davon ab, ob sie vor oder nach der Mittellage erfolgen, bremsend oder
antreibend wirken. Da die Ankerhemmung symmetrisch arbeitet (jedenfalls sollte
sie das), heben sich die Einflüsse der Impulse links und rechts Einflüsse auf,
wenn ihr Einfluß genau auf den Nulldurchgang ausgerichtet ist, oder anders gesagt,
wenn auf der Zeitwaage die schöne Linie erscheint und keine Pferdewagenspur.
Trotzdem
tut die Ankerhemmung genau das, was kein Vater mit seinem Kinde auf der
Schaukel tun würde, sie schiebt genau in der Mitte der Schwingbewegung an. Wenn
unser Kind besonders hoch schaukelt, könnten wir gar nicht so schnell schieben,
um ihm noch einen Antrieb zu vermitteln, wenn es mit hoher Geschwindigkeit
durch die Senkrechte saust. Und das ist mit der Ankerhemmung nicht anders. Die
meisten Ankerhemmungen haben nur Wirkungsgrade um 40%, und trotzdem wird die
Konstruktion als der Endpunkt einer Entwicklung angesehen, als das perfekte,
nicht zu toppende Konstrukt! Wenn wir nur auf 80% kämen, könnte unsere Uhr
doppelt so lange gehen!
Stellen
wir uns doch mal die Bewegungen vor unserem geistigen Auge vor. Die Unruh kommt
aus dem Umkehrpunkt und wird von der gespannten Spirale beschleunigt. Wenn sie
fast am schnellsten ist, reißt sie den Anker schlagartig aus dem Eingriff. Dabei
schubst der das Ankerrad zunächst mal rückwärts, denn der Zug muß ja überwunden
werden. Erst jetzt kann das Laufwerk anfangen, das Hemmungsrad zu beschleunigen.
Bis der Radzahn dann endlich an der Hebefläche der Palette angelangt ist, hat
sich diese schon ein ganzes Stück weiter bewegt. Ich habe an einer alten
Taschenuhr, die vielleicht auch schon mal mit Diamantpulver in Berührung
gekommen ist, gesehen, daß die Ankerpalette eingelaufen war. Aber nur im
letzten Drittel der Hebefläche, der vordere Teil war unberührt!
Selbst
wenn der Radzahn nun endlich auf die Hebefläche drücken kann, wird diese von
der Unruh vom Zahne weggezogen. Der übertragene Impuls ist also nur so stark,
wie das Laufwerk sich schneller bewegen kann als die von der Unruh bereits
beschleunigte Ankerklaue. Na ja, perfekt ist irgendwie anders. Um der Sache nun
auf den Grund zu gehen, müssen wir erst mal die dahinter steckenden Prinzipien
versuchen zu verstehen.
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