Sonntag, 4. Juni 2017

Tourbillon Nr. 2 von Christian Klings Teil 2

Die zum Teil völlig falschen Vorstellungen und Erwartungen entstehen schon durch den Begriff "Chronometerhemmung". Landläufig verstehen die Leute unter Chronometer eine sehr genau gehende Uhr, konstruiert  für die Seefahrt. Die meisten von diesen Uhren haben eine Hemmung, bei der das Hemmrad ohne Anker direkt auf die Unruh wirkt. Das hat sich bewährt, denn für die rauhen Bedingungen auf See brauchte man eine Uhr, die unempfindlich auf die dadurch bedingten Veränderungen der Eigenschaften des Öles war. Daher bekam diese Hemmung ihren Namen. Heute meinen aber die meisten, sie heiße deshalb so, weil durch sie die Uhr gleich mal um Größenordnungen genauer gehe. Das ist ein weit verbreiteter Irrglauben, und da Christian schon einige Uhren mit dieser Hemmung gebaut hat, kann er ein Lied von enttäuschten Sekundenfuchsern singen.


vor der Auslösung


Impuls


Rückschwung mit Ausheben der Goldfeder

Dabei hat diese Hemmung auch ihre Schwächen und kann eine schlecht gemachte und regulierte Uhr nicht retten. Aber warum dann die ganze Mühe, ihre Unzulänglichkeiten auszumerzen, wenn die Uhr am Ende nicht meßbar genauer geht als mit der altbewährten Ankerhemmung?

Um diese Frage zu beantworten, wollen wir Christians Uhr doch einmal aufziehen. Nach einigen wenigen Drehungen an der Krone wird sie sicher anlaufen. Sie schwingt langsamer, als wir es gewohnt sind, die Unruh macht in der Sekunde nur zwei volle Schwingungen. Wir werden feststellen, daß der Blick auf die langsam schwingende Unruh mit der gleichmäßig atmenden, gebläuten Stahlspirale sehr beruhigend wirkt und etwas majestätisches hat. Aber erst, wenn wir unser Ohr ans Gehäuse halten und dem Geräusch lauschen, werden wir verstehen. Wir hören nicht das gewohnte hektische Ticken, sondern ein zartes rhytmisches Geräusch, was mich immer an das Arbeiten einer Dampfmaschine erinnert. Bei uns gibt es in der Nähe einen Verein, der so eine Maschine pflegt und jedes Jahr ein Fest veranstaltet, und irgendwie gibt es für mich eine Verbindung zwischen dieser Maschine und einer Uhr mit Chronometerhemmung. Jedenfalls höre ich beides gern und es hat einen sehr beruhigenden und ausgleichenden Effekt. Ist das nicht viel mehr als eine halbe Sekunde Genauigkeit pro Tag besser zu gehen?
Beobachtet man das Hemmrad, scheint es fast, als würde es stillstehen, wenn man nur auf die Zähne und nicht auf die Schenkelung schaut. Denn es bewegt sich sehr schnell schrittweise genau um eine Zahnteilung weiter und stößt dabei die Unruh an.

Die Chronometerhemmung ist also eine einseitig wirkende Hemmung. Bei Christians Uhr finden wir einen an einer sehr zarten Feder etwas gelenkig befestigten Hebel, wobei Hebel und Feder aus einem Stück  gefertigt sind. Der Hebel trägt einen Stein, der in die Verzahnung des Hemmrades greift und so verhindert, daß die Räder unkontrolliert loslaufen. Ein Finger an der Unruhwelle zieht nun diesen Hebel leicht nach links, wenn die Unruh durch ihren Nulldurchgang schwingt. Sie trägt einen zweiten Finger, der so angeordnet ist, daß in dem Moment, wo das frei gewordene Hemmrad loslaufen will, dessen Zahn dort anstoßen muß und die Unruh somit anschiebt. Mittlerweile fällt der gefederte Hebel ab und in seine Ruhelage zurück, so daß immer nur ein Zahn des Hemmrades durchgehen kann. Das ist ein umlaufender Vorgang, was bedeutet, daß er sich bei jeder Umdrehung der Unruh in Uhrzeigerrichtung wiederholen würde. Hätte diese keine Spiralfeder, könnten wir sie auf diese Weise sogar dauerhaft rotieren lassen, was bestimmt nicht im Sinne des Erfinders wäre. Aber auch mit Spirale besteht diese Gefahr, denn durch einen Stoß beim Tragen kann die Unruh so einen starken Impuls bekommen, daß sie mehr als eine Umdrehung ausschwingt und zweimal durch die Hemmung geht. Das nennt man galoppieren, und es ist eine Unsicherheit dieser Hemmung, die man mit geeigneten Vorrichtungen ausschließen muß.


Da nun aber die Unruh nicht rotiert, sondern schwingt, muß sie auch gegen den Uhrzeigersinn drehend mit ihrem Finger an dem federnden Hebel vorbei, ohne wesentlich in ihrer Bewegung gestört zu werden. Zu diesem Zwecke befindet sich auf dem federnden Hebel eine noch zartere Feder aus Gold, die das Durchgehen in der anderen Drehrichtung erlaubt. Wenn wir genau hinhören, können wir ihren feinen Klang wahrnehmen.

Um das Durchgaloppieren zu verhindern, nutzt Christian Klings die Bewegung der Spiralklinge aus. Er hat das nicht erfunden, aber verbessert. Auf einem Schenkel der Unruh befindet sich ein zarter, nach oben ragender Stift, der genau zwischen zwei in einem Arm des Tourbillonkäfigs befestigten Stiften hindurchgeht. In der Nähe dieser beiden Stifte ist an der Spiralklinge ein kleines, von unten tunnelförmig ausgespartes Messingfähnchen befestigt. Befestigt klingt sehr lapidar, denn in der Uhrmacherei wird im Uhrwerk nichts geklebt oder gar gelötet. Christian hat mit einem selbst gefertigten Fräser das Fähnchen an seinem etwas verdickten Ende geschlitzt. Er hat den Fräser so lange angepaßt, bis sich das Fähnchen mit dem Schlitz straff über die Spiralklinge schieben ließ. So wird die Spiralklinge überhaupt nicht verformt, was für einen stabilen Gang der Uhr sehr wichtig ist. Wenn die Unruh schwingt, dann atmet die Klinge der Spiralfeder mit dem Fähnchen hin und her, und zwar um so stärker, je mehr die Unruh ausschwingt. Schwingt sie weniger als eine Umdrehung aus, so ist die tunnelförmige Aussparung in dem Fähnchen breit genug, daß der Stift auf dem Unruhschenkel ungehindert hindurch schwingen kann. Der Stift ist so angeordnet, daß er, kurz bevor die Unruh die Hemmung ein zweites Mal auslösen würde, wieder vor dem Fähnchen steht. Jetzt ist die Spiralklinge mit dem Fähnchen aber so weit ausgelenkt, daß der Stift der Unruh es seitlich der Aussparung trifft und gegen die beiden Stifte am Käfig drückt, wodurch die Unruh zart, aber nachdrücklich am Weiterschwingen gehindert wird. Christian hat die Anordnung so gewählt, daß die Spirale dabei auf Zug beansprucht wird.

Durchgang bei normaler Amplitude 


Blockade der Unruh vor dem Prellen

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