Samstag, 4. August 2018

Bau einer elektrischen Halbsekunden-Pendeluhr Teil 2 -Der elektromagnetische Antrieb


Manche Zeitgenossen sind der Meinung, alle Zeitmesser, in die man eine Batterie einsetzen muß, heißen Quarzuhren. Dabei ist eine elektromechanische Uhr ihrem Wirkprinzip nach eigentlich eine mechanische Uhr, und viele uns von dort bekannten Gesetzmäßigkeiten gelten für sie ebenso. Elektrisch ist nur die Energie, die unsere Uhr am Laufen hält.


Unser Zeitnormal ist ein mechanisches Schwingsystem, meistens sind es Pendel oder Unruhen. Während dessen Schwingung findet ständig eine Energieumwandlung statt, und das Schwingsystem ist umso unempfindlicher, desto größer diese hin- und hergeschobene Energiemenge ist. Beschränken wir uns im Folgenden auf das Pendel, da sich ja der Text auf die Halbsekunden-Pendeluhr bezieht. Wegen der hier stattfindenden Umwandlung von Bewegungs- in Lageenergie und umgekehrt müssen wir es  so schwer wie möglich machen und dafür sorgen, daß der Energieverlust gering bleibt. Anders als bei der Unruh ist uns hier die Möglichkeit, durch eine größere Amplitude und Frequenz die Energie zu erhöhen, versagt. Die Pendelschwingung ist nicht isochron, und das umso mehr, je höher das Pendelgewicht gegenüber der Nullage beim Ausschwingen angehoben wird. Dem System  Pendel wird nun durch Reibung in der Luft und der inneren Reibung der Pendelfeder Energie entzogen, solange wir es nicht noch mit einem Uhrwerk verbinden. Ein oft vernachlässigtes Schlupfloch, durch welches auch Energie entwischt, ist die innere Reibung im Material der Aufhängung, wenn diese beginnt, mit dem Pendel mitzuschwingen. Deshalb soll das Gestell so schwer und massiv wie möglich sein, oder wir befestigen die Uhr eben an einer massiven Wand.




Verbinden wir das Pendel mit dem Uhrwerk, entziehen wir ihm zusätzlich Energie. Bei der mechanischen Uhr geschieht diese Verbindung durch die Hemmung, die den freien Ablauf des federbelasteten Laufwerkes hemmt und ihm den Takt des Schwingsystems aufzwingt, wobei sie ihm im gleichen Rhythmus Energieimpulse zur Auslösung entzieht und durch die Hebung wieder zuführt. Bei der elektromechanischen Uhr gibt es eine vergleichbare Antriebsbaugruppe, die aber völlig andere Aufgaben übernehmen muß. Das Laufwerk ist nicht federbelastet, sondern wird angetrieben und ist hier vergleichbar mit einem Zählwerk. Es gibt nun zwei Arten, wie das Schwingsystem diesen Antrieb steuert.


Beim direkten Antrieb ist das Schwingsystem selbst der Motor (es gibt sogar den Begriff "Motorpendel"). Das Pendel wird durch elektromagnetische Kraftimpulse angetrieben und treibt durch einen Fortschaltmechanismus das Laufwerk. Während dieses Antriebes müssen auch im richtigen Moment durch eine geeignete Mechanik die Kontaktschlüsse gesteuert werden.



direkter Antrieb bei Alexander Bain


Der indirekte Antrieb ist eigentlich nichts weiter wie eine mechanische Uhr, die eine Hemmung mit einer elektrischen Nachspannvorrichtung besitzt. Das Nachspannsystem entspricht einer mechanischen Hemmung, die aber nicht den Ablauf des Laufwerkes hemmt, sondern einen Energiespeicher blockiert. Das Schwingsystem löst diese Blockierung, die gespeicherte mechanische Energie gibt ihm den Kraftimpuls. Ist der Energiespeicher entladen, schließt er einen Kontakt, wodurch er, während das Schwingsystem seinen Ergänzungsbogen schwingt, durch einen Elektromagneten wieder bis zum Einrasten der Blockiermechanik (=Hemmung) gespannt wird. Während dieses "Aufzugsvorgangs" wird auch das Laufwerk vom Nachspannmechanismus weitergeschalten, so daß das Schwingsystem davon "entlastet" wird. Solche Uhren, die es als Pendeluhr (Synchronome) und Unruhuhren (GUB Elektrochron) gibt, erreichen wegen der konstanten Antriebsenergie und der Entkopplung des Schwingers vom Laufwerk sehr hohe Gangleistungen.


indirekter Antrieb einer Synchronome-Sekundenpendeluhr
Totpunktfeder-Hemmung der GUB Elektrochron

elektromagnetischer Antrieb der GUB Elektrochron




Trotzdem habe ich mich beim Bau meiner Uhr zunächst für den direkten Antrieb entschieden. Wer die zuvor genannten Uhren kennt, kann sich auch denken, warum. Das "Aufladen" des Energiespeichers muß in einer sehr kurzen Zeit geschehen, sozusagen schlagartig. Und dieses Wort umschreibt auch ganz gut die Geräuschentwicklung solcher Uhren. Direkt angetriebene Uhren dagegen haben nur die Fortschalt- und Kontaktmechanik als Geräuschquelle, und beides geht bei einem Halbsekundenpendel noch recht weich vonstatten.


Durch die Energieabgabe des Pendels an das Laufwerk und die -zufuhr durch den Elektromagneten entstehen Stöße auf das Pendel, die dessen Schwingungsdauer beeinflussen. Wie diese Stöße auf die Schwingungsdauer wirken, hängt von deren Lage und Richtung bezogen auf die Nullage des Pendels ab. Ein Stoß von der Mittellage weg verlangsamt die Schwingung, zur Mittellage hin beschleunigt er sie. Das ist eigentlich recht einleuchtend, schwieriger wird es, die wirkliche Kraftrichtung im Einzelnen zu bestimmen, da man sich nicht von der augenblicklichen Bewegungsrichtung des Pendels irremachen lassen darf. Es zählt die Richtung des Impulses.



Beispiel eines Stoß-Bewegungs-Schemas einer direkt angetriebenen elektromechanischen Pendeluhr.
Außerdem steht die Wirkung der Stöße im Verhältnis zu der kinetischen Energie, die das Pendel im Moment gerade hat. Und die nimmt von der Mittellage zu den Umkehrpunkten hin ab. Deshalb sollen ja alle möglichen Störungen möglichst nahe an der Mittellage erfolgen, auch wenn eine mechanische Hemmung dann aufgrund der hohen Geschwindigkeit die größten Probleme hat, überhaupt Kraft zu übertragen. Aber das ist eine Frage des Wirkungsgrades und nicht der Ganggenauigkeit. Für letztere ist ein freier Ergänzungsbogen des Schwingers sehr wichtig.




Schon alleine diese Betrachtung führt schnell zu dem Schluß, daß auch beim elektrisch direkt angetriebenen Pendel höchste Anforderungen an die Qualität aller mechanischen Bauteile, die direkt mit dem Pendel zusammenwirken, gestellt werden müssen. Es geht darum, die bremsenden Stöße, die das Pendel durch die Energieabgabe zum Antrieb des Laufwerkes zwangsläufig erhält, möglichst gleichmäßig zu halten. Nimmt man ein einfaches Pendel und koppelt es mit einer Schubklinke, welches nur ein Rad fortschaltet, kann man das schon gut beobachten. Gibt man dem Rad eine Unwucht und mißt die Pendelfrequenz mit Hilfe eines optischen Aufnehmers und der Zeitwaage, wird man eine Schwankung der Schwingungsdauer  im Rhythmus der Unwucht des Rades feststellen. Das liegt an dem schwankenden Drehwiderstand, der sich als Stoß auf das Pendel bei jeder Fortschaltung überträgt. Deshalb sollten bei allen Pendeluhren, auch bei mechanischen, sämtliche Teile des Räderwerkes ausgewuchtet sein. Bei mechanischen Uhren würde sich eine Unwucht im Räderwerk, die auch durch die Zeiger verursacht werden kann, auf die Stärke der Auslösung und der Hebung auswirken.


Deshalb ist die Anforderung an die Qualität des Laufwerkes bei mechanischen und direkt angetriebenen elektrischen Uhren die gleiche. Auch die Forderung an Zeitdauer, Lage und Gleichmäßigkeit der Antriebsimpulse ist gleich hoch, nur daß sie eben bei elektrischen Uhren anders erzeugt werden. Und da gibt es einige Besonderheiten zu beachten.






Damit der Antriebsimpuls des Elektromagneten so nahe wie möglich im Bereich der Schwingungsmitte erfolgt, wäre ein kurzer, kräftiger Impuls von Vorteil. Hier stoßen wir auf den ersten großen Nachteil des direkten Antriebes, der durch den Effekt der Selbstinduktion von Spulen entsteht. Befindet sich ein elektrischer Leiter in einem sich verändernden Magnetfeld, so wird in ihm eine elektrische Spannung erzeugt. Dabei ist es egal, woher das Magnetfeld kommt und wie es sich verändert. Als Veränderung zählt, wenn der Leiter sich im konstanten Feld bewegt und dabei Feldlinien schneidet oder wenn sich die Dichte des den Leiter umgebenden Magnetfeldes ändert. Legen wir eine Spannung an unsere Spule, steigt ihr Magnetfeld von Null zum maximalen Wert an. Die Wicklungen der Spule befinden sich also in ihrem eigenen sich verändernden Magnetfeld, wodurch nach dem Lenzsche'n Gesetz dort eine der verursachenden Stromänderung entgegengerichtete Spannung erzeugt wird. Beim Einschalten verlangsamt sie also das Erreichen unseres Arbeitsstromes. Bei unserer Halbsekunden-Pendeluhr zum Beispiel dauert eine Halbschwingung 500ms. Bei einem guten Kontaktwerk dauert der Kontaktschluß 100ms, was übrigens um einiges kürzer als die Hebungsdauer einer mechanischen Hemmung ist. Mit einem Ohmmeter und der Pendelskale läßt sich der Pendelweg, während dem der Kontakt geschlossen ist, leicht ermitteln. Die Zeit ergibt sich, wenn man die Wege mit der Halbschwingungsdauer ins Verhältnis setzt. Ich habe mit dem Oszillographen gemessen, daß bei meiner Pendeluhr nach 2ms die volle Spannung erreicht wird. Die Verzögerung beim Erreichen des Arbeitsstromes durch die Selbstinduktion können wir also bei einer solchen Uhr vernachlässigen.


Ein- und Abschaltstromverlauf durch eine Spule (Quelle: Elektrotechnik von Ing. Werner Großstück)






Die gleiche Wirkung wie beim Schließen des Kontaktes haben wir, wenn wir den Stromfluß unterbrechen. Das zusammenbrechende Magnetfeld der Spule erzeugt wieder eine Spannung in deren Wicklungen, wieder der Ursache entgegen gerichtet und damit in der gleichen Richtung wie die Arbeitsspannung. Die kann aber nicht abfließen, da ja der Kontakt schon geöffnet ist und erreicht schnell Vielfache Werte der Batteriespannung. So kann sie am sich öffnenden Kontakt einen Lichtbogen oder Funken erzeugen, um darüber abzufließen. Dieser Lichtbogen würde in kurzer Zeit die Oberflächen unserer Kontakte zerstören, es entstehen Zunderschichten, die isolierend wirken. Die Uhr würde stehenbleiben. Wenn wir das wissen, können wir nach Möglichkeiten suchen, dem Strom unschädlichere Wege zu bauen. Natürlich ist es aber erst mal besser, schon das Entstehen hoher Spannungen zu vermeiden.
Der konstruktive Kennwert für die entstehende Selbstinduktionsspannung der Spule ist deren Induktivität. Diese hängt davon ab, wie eng die Magnetfeldlinien gebündelt sind. Da wir eine punktuelle Wirkung des Magnetfeldes für den Antrieb brauchen, können wir die Induktivität nicht beliebig absenken. Wir sollten große Spulendurchmesser vermeiden und nach Möglichkeit keine Eisenkerne verwenden. Denn diese erhöhen die Induktivität beträchtlich. Ganz können wir das nicht vermeiden, weil schon der eintauchende Magnet ja einen Eisenkern darstellt.



geschlossener Eisenkreis bei einem Hipp`schen Antrieb



Zum Ableiten des Selbstinduktionsstromes beim Ausschalten gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten. Früher wurde oft parallel zum Kontakt ein Kondensator geschalten (kennt man vom Zündunterbrecher), in den die Spannung als Ladung abfließen kann. Wesentlich wirkungsvoller ist aber das Kurzschließen des Selbstinduktionstromes direkt an der Spule. Früher wurde dazu durch einen zweiten Kontakt unmittelbar nach dem Öffnen die Spule kurzgeschlossen. Das findet man vor allem bei frühen Uhren von Hipp.


Kurzschlußkontakt (im Bild rechts) an einer Hipp'schen Kontaktwippe

Heute hat man die Möglichkeit, parallel zur Spule eine Diode zu schalten. Die sogenannte Freilaufdiode wird so eingefügt, daß sie zur anliegenden Betriebsspannung in Sperrichtung liegt. Nach dem Öffnen des Kontaktes ist nun die Spule die Spannungsquelle, und die anliegende Selbstinduktionsspannung kann über die Diode abfließen.
Freilaufdiode an der Spule der GUB Elektrochron

Durch den durch die Spule kreisenden Kurzschlußstrom wird aber wiederum ein starkes Magnetfeld erzeugt, welches, da es sehr spät auftritt, den Schwinger unter Umständen abbremsen kann. Um das zu vermeiden, kann man durch Reihenschaltung der Diode mit einem 100 Ohm-Widerstand den Stromfluß begrenzen. Eine solche Schaltung hat sich zum Schutz der Kontakte in der Praxis am besten bewährt. Die Selbstreinigung der Kontakte durch die Reibung ist jetzt größer als der Abbrand. Auch LED sind sehr gut geeignet, und man kann durch ihren Lichtblitz auch optisch die Lage des Impulses kontrollieren.


Die Spule ist aber nur ein Bauteil des Antriebes, sie muß mit einem zweiten Bauteil zusammenwirken, damit ihr elektromagnetisches Feld eine Antriebskraft erzeugen kann. Das können Anker aus Weicheisen, Dauermagneten oder eine zweite Spule sein. Der Kraftwirkung ist es dabei egal, ob die Spule sich mit dem Pendel bewegt und der Magnet feststeht oder umgekehrt. Beide Bauformen wurden schon realisiert, und auch hier muß man den für das eigene Empfinden richtigen Kompromiß finden. Entscheidend ist letztendlich die Qualität und Durchdachtheit der Ausführung.


Was beim direkten Antrieb von Schwingsystemen überhaupt gar nicht geht, ist ein Zusammenwirken von Spulen mit Eisenkern und einem Dauermagneten als Anker. Das würde auf das Pendel wie eine Raste wirken. Es macht wohl niemand absichtlich, aber durch den Restmagnetismus solcher Eisenkreis-Spulen kann es ungewollt dazu kommen.


Bei Brillie- und ATO-Uhren schwingt ein Stab- oder Hufeisenmagnet am Pendel in eine feststehende Spule ein.





Magnetfeld eines Brillié-Pendelmagneten

Es ist meiner Meinung nach die sicherste und wirkungsvollste Anordnung, aber sie hat auch ihre Eigenheiten. Ganz Schlaue werden jetzt an das auf den Pendelmagneten wirkende Erdmagnetfeld denken, aber das kann man vernachlässigen, solange wir die Uhr nicht ständig herumdrehen. Aber denken wir an das zu Beginn Gesagte: ein sich änderndes, in dem Fall sich zum Leiter bewegendes Magnetfeld erzeugt in einem elektrischen Leiter eine Spannung. Es dürfen sich also in der Nähe des pendelnden Magneten keine feststehenden Metallteile befinden. Die im Metall induzierte Spannung würde darin kreisende Ströme, sogenannte Wirbelströme, erzeugen. Dadurch würde ein Teil der Bewegungsenergie des Pendels in elektrische Energie umgewandelt werden und wir würden unser Pendel abbremsen. Die Metallspulenkörper der Brillie sind deshalb geschlitzt, so daß zumindest keine umlaufenden Wirbelströme fließen können. Trotzdem würde ich jegliches Metall in der Nähe des Magneten vermeiden. Manche ATO-Uhren haben gegenüber der Spule einen Ring aus Kupfer montiert, in den das andere Ende des Magneten eintaucht. Hier nutzt man bewußt die Bremswirkung, um das Pendel bei zu großen Amplituden abzubremsen. Wenn man genau hinschaut, dann wird auch die Spule von Messingringen gehalten, das würde ich aus dem Grund nicht so machen. Aber die ATO ist ja auch keine Präzisionsuhr.


Kupferring als "Wirbelstrombremse" an einer ATO



Bei einer Präzisionsuhr sollte man auch schon durch geeignete Kontaktvorrichtungen dafür sorgen, daß die Amplitude nicht zu stark anwächst und nicht versuchen, den Fehler dann nachträglich am Pendel zu korrigieren.




Arbeiten wir mit einer Freilaufdiode, die die Spule kurzschließt, müssen wir daran denken, daß die Kombination Spulenwicklung und sich darin bewegender Magnet einen Generator darstellt, der ebenfalls eine Spannung erzeugt und dem Pendel dadurch Energie entzieht, wenn ein Stromfluß in der kurzgeschlossenen Spule zustande kommt. Bei einer LED kann man das sehr gut durch das Aufblitzen beobachten, das auch auftritt, wenn gar keine Batterie in der Uhr ist. Auch aus diesem Grund ist der zusätzliche Widerstand im Kurzschlußkreis sehr wichtig.


In Hinblick auf die Wirbelströme sind feststehende Magnete, wie sie bei den Bulle-Clocks verwendet werden, natürlich besser. Was diese Sache so kompliziert macht, ist die Stromzuführung zur bewegten Spule, besonders für eine Präzisionsuhr. Wir brauchen von der Pendelaufhängung bis zur Spule zwei voneinander isolierte Metallstäbe. Da käme nur ein Leiterpendel mit zwei Invarstäben in Frage. Natürlich kann man auch einen Invarstab nutzen und einen dünnen Kupferdraht daran isoliert herunterführen, aber das ist sicher nicht so ideal. Außerdem müssen die beiden Pendelfedern zueinander isoliert befestigt sein, oder man hängt das Pendel wie bei Bulle gleich isoliert auf und führt den Strom über extra Federn zu. Aber schön ist das alles nicht, besonders dann nicht, wenn sich das schwere Präzisionspendel auch gut ausbauen lassen soll. Da stört der Magnet am Pendel dann doch weniger.


Zum Abschluß möchte ich noch auf einen Effekt hinweisen, den man nutzen kann, wenn man mehrere Uhren betreibt. Wenn man Schwinger hat, deren Frequenz nahe beieinander liegt und diese miteinander koppelt (das heißt, sie können im Rhythmus ihrer Schwingungen geringe Impulse austauschen), dann tritt Resonanz auf, beide Schwinger schwingen gleich. Man kennt das auf mechanischem Wege von zwei Pendeln, die an einer Aufhängung befestigt sind (was auch ein Beweis dafür ist, daß das Pendel an die Aufhängung Energie abgibt). Durch die Resonanz halbiert sich der Fehler jedes einzelnen Systems. Man kann es so bauen, daß ein System dem anderen seine Frequenz aufzwingt oder daß sie sich beide annähern, sozusagen gleichwertig sind. Die elektrische Variante gestattet uns, das auch mit Uhren zu tun, die räumlich weiter voneinander weg angebracht sind. Bei Brillié gab es das in Form von Zusatzspulen.


Resonanzspulen an einer Brillie


 Das Magnetfeld der Hauptspule induziert im Rhythmus des Schwingers in dieser Spule Stromimpulse. Dann kann man in einfachen mechanischen Uhren am Pendel Magneten anbringen, die wie bei der Hauptuhr in Spulen eintauchen. So wird die elektrische Uhr den mechanischen ihren Takt aufzwingen, da deren induzierter Strom in den Spulen der mechanischen Uhren Magnetimpulse in ihrem Rhythmus erzeugt. Man könnte so sogar zwei mechanische Uhren elektrisch synchronisieren, indem man beide Pendel mit Magneten versieht und die beiden Spulen parallelschaltet.
ATO hat sein Nebenuhrsystem nach diesem Prinzip gebaut, allerdings gibt es hier in der Hauptuhr zwei Kontakte, die vom Pendel genau wie der eigene Arbeitskontakt betätigt werden. Die Nebenuhren haben auch Pendel wie die Hauptuhr, allerdings ohne Kontakt und mit halber Schwingungsdauer. Ihre Spulen erhalten die Impulse von der Hauptuhr und zwingen so die Pendel der Nebenuhren, in ihrem Rhythmus mitzuschwingen.



Nebenuhrsystem ATO

Sonntag, 28. Januar 2018

Bau einer elektrischen Halbsekunden-Pendeluhr auf Basis der Brillié- Teil 1

Seit längerem trage ich mich mit dem Gedanken, nun auch mal eine eigene Uhr zu entwerfen und zu bauen. Bisher habe ich das ja nur für andere getan. Wer nun meint, wenn man es für sich selbst tut, hat man alle Freiheiten der Welt, so wird man seinen Irrtum bald bemerken, wenn man damit beginnt. Dabei macht es noch einen Unterschied, ob man es als Hobby betreibt oder ob es einen mit ernähren soll. Es beginnt mit den Möglichkeiten, die einem die Ausrüstung der eigenen Werkstatt bietet und wird auch maßgeblich davon bestimmt, welchen finanziellen Spielraum man hat.
Ich verfolge das Ziel, diese Uhren irgendwann einmal mit Gewinn verkaufen zu können und möchte doch etwas tun, was von Herzen kommt und mir Freude macht. Denn letztendlich ist es nicht nur die Uhr, sondern auch unsere Emotionen, die Einstellung dazu und die Geschichte ihrer Entstehung, die die Leute dazu bewegt, gerade diese Uhr zu begehren oder eben auch abzulehnen.

Die meisten, denen ich davon erzählt habe, meinten, ich müsse doch verrückt sein. Warum gerade eine Pendeluhr, die liegen doch wie Blei auf dem Markt, und dazu noch eine elektrische. Mach doch eine schöne Armbanduhr, dafür gibt es wenigstens noch ein paar Käufer. Ja gut, da ist ein kleiner Teich, aber da schwimmen auch viele Fische drin. Ich muß mit etwas beginnen, was ich in meiner kleinen Werkstatt ohne CNC-Technik herstellen kann. Dann soll es handwerklich machbar sein, und das soll man auch sehen können. Ich stelle mir schon die Frage, warum die Leute heute so wenig Pendeluhren nachfragen. So eine Uhr ist doch etwas, was den Wohnraum einerseits belebt, dem Haus ein schlagendes Herz verleiht. Und sie ist ein Ruhepol. Ich schaue oft mal ein paar Minuten auf die ruhigen Schwingungen meines schweren Sekundenpendels, wenn sich der PC gerade mal durch mein 1500 kb/s-Internet ein Windows-Update holen will und nichts mit mir zu tun haben will. Aber meine Uhr steht in meiner Werkstatt, weil meine Frau meint, sie paßt nun mal nicht zu den Möbeln im Wohnzimmer. Da geht es los, die Sekundenpendeluhr ist ein ziemlich großes und dominantes Möbelstück! Und die kleinere Lenzkirch mit ihren tausenden gedrechselten Zierteilen paßt nicht zum Ikea-Schrank. Dann weiß ich als Fachmann zwar, daß diese Uhren sehr schön gefertigte, massive Werke haben, wo die teils noch von Hand geschenkelten Räder alles andere als steril wirken und man sich stundenlag an den Formen und Bewegungen erfreuen könnte. Wenn da nicht dieser Kasten drum wäre und das Zifferblatt alles verdeckt. So bleibt mir nur das geheime Wissen darum und die Freude, wenn ich das Werk mal herausnehme. Schade eigentlich.

Gut, also sollte die Uhr nicht so groß sein und sie soll zeigen, was sie hat. So, daß man sie noch als Accessoire und nicht als Möbel empfindet, als funktionierende Deko sozusagen. Aber auch nicht so verwirrend wie eine Skelettuhr, die Zeit sollte man schon noch deutlich erkennen können. Die Leute, die in Glashütte ins Museum gehen, finden oft die kleine Halbsekunden-Pendeluhr so schön, die F.A. Lange ganz zu Beginn unter Verwendung eines französischen Japy-Werkes gebaut hat. Sie ist schlicht und nicht zu groß, sehr zeitlos gestaltet. Aber schon Lange ist beim Bau auf ein Problem dieser Uhren gestoßen: die Halbsekunden-Pendeluhr kann man nur mit Federantrieb vernünftig bauen. Bei der geringen Fallhöhe bräuchte man sonst ein sehr schweres Gewicht und ein ein entsprechend stabiles Gehäuse und Werk, was die Uhr wieder vergrößert. Beim Federantrieb würde man aber gerade bei dem kurzen Pendel eine merkliche Gangabweichung spüren. Deshalb hat ja Lange die Federhemmung mit konstanter Kraft verwendet. Ich müßte also eine ähnliche Hemmung bauen oder zumindest Kette und Schnecke verwenden. Das hätte ich auch getan, aber das kostet viel Zeit für die Beschaffung und vor allem die Erprobung. Wenn es ein Hobby wäre, gerne, aber die Uhr soll mal verkäuflich sein, und ich müßte diese Zeit und den Aufwand mit verrechnen. Entweder spare ich am handwerklichen Aufwand, oder ich baue was, das sich nur Superreiche leisten können. Ich möchte aber lieber etwas schaffen, was sich vor allem Menschen gönnen, die es aus Liebe zur Uhr machen und wahre Freude daran empfinden können. Die haben meistens ihr Geld mit Arbeit verdient und deshalb nicht so viel übrig.


So bin ich auf die Uhren der französischen Marke Brillié gestoßen. Es sind Industrieuhren, gebaut, um Uhrenanlagen zu steuern. Zum Beginn ihrer Herstellungszeit hat man solche Dinge aber noch für die Ewigkeit gefertigt und auch darauf geachtet, daß es trotzdem ästhetisch und wertig wirkt. Handwerkerehre eben. Ich war mal in einem Kraftwerksmuseum, dort sieht man die großen, marmornen Schalttafeln mit den schönen, aufgesetzten Meßinstrumenten, häufig noch im Messinggehäuse.


Die Brilliés werden elektrisch angetrieben, und folgerichtig ist auch diese Uhr auf einer 2cm dicken Marmorplatte aufgebaut, die mit ihrer Masse auch dafür sorgt, daß das Pendel eine stabile und ruhige Aufhängung findet.



Warum nun der elektrische Antrieb, wie ist das mit einer hochwertigen Uhr zu vereinbaren? Nun, ich denke, es hängt gar nicht davon ab, woher die Uhr ihre Energie bezieht, sondern mit welcher Sorgfalt sie gefertigt wurde. Die Brillié ist schon so, wie sie ist, optisch ansprechend und wenngleich auch kaum finissiert, doch sehr massiv gebaut. Das Pendel hat einen Invarstab, und man kann sie schon in der jetzigen Qualität auf unter 1s/Tag regulieren. Ein schönes Ausgangsmaterial, aus dem ich etwas machen kann.
Viele dieser Uhren wurden nicht von Uhrmachern, sondern von Ingenieuren entwickelt. Betrachten wir sie mit den Augen des Uhrmachers, erkennen wir, daß wir hier die gleichen Gesetze anwenden müssen wie bei der rein mechanischen Uhr. Vergessen wir den elektrischen Strom und sprechen mal einfach von den antreibenden und bremsenden Kraftimpulsen, denen das Pendel ausgesetzt ist. So müssen wir durch eine geeignete Kontaktvorrichtung dafür sorgen, daß der Antriebsimpuls möglichst nahe und gleichmäßig nach links und rechts verteilt vom Nullpunkt kommt. Und alle Störimpulse, die dem Pendel Kraft entziehen, sollen sehr klein und gleichmäßig sein. Da das Pendel hier der Motor ist und das Uhrwerk antreibt, ist die Anforderung an die mechanische Kontaktvorrichtung, die man durchaus mit einer Hemmung gleichsetzen kann, schon recht hoch, und das Gleiche gilt für das Räderwerk. Wenn man nur das Innere des Zifferblattes aufbricht, so daß man diesen Hebeln und Klinken bei der Arbeit zuschauen kann, ist es sicher auch für den Freund reiner Mechanik reizvoll.
Die Wahl diese Antriebsprinzips bietet mir die Möglichkeit, eine kleine Uhr, die sehr universell aufgestellt werden kann, mit einem vertretbaren Aufwand zu bauen und doch mechanisch interessant zu gestalten. Der Kunde hat eine Uhr, die mehr als vier Jahre mit einer Batterie recht genau läuft und so auch im verwaisten Hobbyraum des vielbeschäftigten Geschäftsmannes ihren Dienst tut.


Später könnte ich noch interessantere Steuerungen, wie zum Beispiel den Hipp'schen Kontakt, einbauen. Wie so etwas aussieht, kann man an einer Halbsekundenpendeluhr von C. Verhagen im Glashütter Uhrenmuseum studieren, die Piet Andriessen gestiftet hat.




Dienstag, 3. Oktober 2017

Ein Treffen von Freunden astronomischer Präzisionspendeluhren, organisiert von Jürgen Ermert

Jürgen Ermert hatte den 2. und 4. Band seiner Buchreihe "Präzisionspendeluhren in Deutschland von 1730 bis 1940" fertiggestellt und auch aus diesem Anlaß langfristig ein Treffen organisiert. Es sollte im Landhotel "Naaf's Häuschen" zwischen Overath und Lohmar stattfinden. Schon im Januar hatte Jürgen den größten Teil organisiert, die Einladungen verschickt und das Hotel mit seinem Tagungsraum gebucht. Ich hatte beschlossen, mir keinen Streß zu machen und schon Freitag abend anzureisen, schließlich hatte ich fast sechs Stunden Fahrt vor mir. Das Landhotel war wohl früher ein größerer Gutshof gewesen, es besteht aus mehreren Gebäuden. Vorn an der Straße gut sichtbar liegt das Restaurant, so daß viele irrtümlich zunächst dort auf den Parkplatz fuhren.


Das eigentliche Landhotel liegt etwas versteckt davor, so daß man als Ortsfremder fast immer vorbeifährt, wenn man von Overath kommt. Hinter dem recht vornehmen Restaurant gab es noch eine rustikale Schänke im ehemaligen Stallgebäude. Das sagte mir für das Abendbrot mehr zu. Mit einigen, die zum Treffen erwartet wurden, hatte ich schon vorher Kontakt, aber ich kannte kaum einen vom Sehen her. Als ich zum Essen ging, sah ich aber Christian Pfeiffer-Belli auf der Terasse sitzen und seinen Vortrag vorbereiten. Wir sprachen kurz miteinander, als mich ein fremder Mann freundlich begrüßte, aber gleich weiterlief. Später stellte sich heraus, daß es Jürgen Ermert war, mit dem ich per Mail schon viel Kontakt hatte.
In der Schänke dachte ich, daß vielleicht schon viele da sein könnten, aber ich saß zunächst alleine da. Später kam ein älterer Herr herein und machte den gleichen suchenden Eindruck wie ich. Ich sprach ihn an, ob er auch zu dem Treffen wolle. Es stellte sich heraus, daß er aus New York gekommen war. Es war Fortunat Mueller-Maerki, der eigentlich aus der Schweiz stammt und eine unglaubliche Sammlung an Uhrenbüchern und Fachtiteln besitzt (wenn ich mir es richtig gemerkt habe, sind es fast 27 000). Er hat darüber eine Liste geführt, in die er auch Literatur aufgenommen hat, die er nicht selbst besitzt, aber deren Aufbewahrungsort er kennt. Er ist Mitglied der NAWCC (National Association of watch & clock collectors).

Am Sonnabend regnete es von früh an. Uns konnte das wenig stören, aber für den Transport der Uhren aus dem Auto war es weniger schön. Jürgen hatte es so organisiert, daß es erst mal bis zum Mittag eine lockere Gesprächsrunde gab, damit sich alle kennenlernen konnten.


Das war sehr klug gedacht, denn wenn man von Anfang an nur im Tagungsaal hockt, kommt man maximal mit seinen Nachbarn etwas ins Gespräch. Es gab noch einen zweiten Raum, in dem einige Uhren präsentiert wurden. Ian Fowler hatte extra einen Ständer gebaut, an dem er das Werk der Ericsson-Pendeluhr, die er später noch im Vortrag beschreiben wollte, zum Gehen brachte.


Wir rätselten über die merkwürdige Anordnung der vier Kontakthebel, die ja die Pendelschwingung sehr zu stören schienen. Torge Berger vom Uhrenmuseum Bad Grund hatte das Werk einer Riefler-Uhr dabei, und auf dem zentralen Tisch, wo auch das restaurierte Gehäuse der Ericsson-Uhr lag, wurden nach und nach immer mehr Uhrwerke gezeigt. Dabei war auch ein sehr altes deutsches Uhrwerk einer Standuhr mit einem Kalender und einem Stundenzeiger, der sich gegen den Uhrzeigersinn bewegte. Über die Anzeige der Mondphase und des Mondalters begann eine heftige Diskussion, und das Problem konnte, so glaube ich, bis zum Ende der Tagung nicht geklärt werden. Unter der Anzeige drehten sich zwei Räder, die beide in das gleiche Trieb eingriffen. Eines hatte 59, das andere 57 Zähne, woraus man schloß, daß es sich um die sinodische und siderische Mondphasenanzeige handeln müsse. Aber was genau auf dem Zifferblatt dargestellt wurde, konnte wohl nicht geklärt werden.


Am Fenster stand ein Standuhrgehäuse mit einem Riefler-Pendel, einigen elektrischen Relais und sehr viel Verdrahtung. Das Gehäuse war einfach, man konnte sehen, daß es sich mehr um eine Versuchsanordnung als um eine Uhr handelte. Der Besitzer hatte sie vom Dachboden einer Ingenieurschule gerettet  und wird sie wohl auch noch vor dem einen oder anderen bewahren müssen, der mehr an dem Pendel als an allem anderen interessiert ist. Es soll sich wohl um eine ungewöhnliche Ausführung des Rieflerpendels mit stärker gewölbter Linse handeln, und der Pendelstab ist mit "KRUPP" gestempelt. Aber der Versuchsaufbau ist ebenso interessant, denn man hat versucht, die Kugelhemmung, bei der das Pendel völlig frei nur durch das abwechselnde Übergewicht zweier Kugeln angetrieben wird, elektrisch zu betätigen. Leider fehlte aber gerade der Steuerkontakt und zwei der Gewichte. Man müßte nach der Verdrahtung den Schaltplan aufzeichnen, um verstehen zu können, wie es einmal gedacht war und wie das fehlende Teil ausgesehen haben könnte.


Nach dem Mittagessen wußte nun jeder schon ein bißchen mehr von den anderen, so daß die Atmosphäre im Tagungsraum recht locker und angenehm war. Jürgen Ermert sprach einige einleitende Sätze und erhielt sehr viel Beifall für seine beiden Buchbände, wenngleich wir uns es nicht verkneifen konnten, ihn immer wieder zu Band 5 anzustacheln.


Christian Pfeiffer-Belli eröffnete die Vortragsserie mit einer kurzen Erzählung über seinen persönlichen Werdegang und die Entstehung der Buchreihe, an deren Layout er mit beteiligt war. Und er erzählte vom Nachbau einer historischen Präzisionspendeluhr durch Josef Sulzer, der darüber auch ein Buch verfaßt hatte:
Josef Sulzer - Wien - Pendeluhren
Herausgeber: Verlag Neumann Wien
Gestaltung: Josef Sulzer
ISBN 978-3-902462-08-4
Danach sprach Stefan Muser von Auktionshaus Crott über Erlebnisse beim Ankauf und der Versteigerung von Pendeluhren. Es gibt leider immer wieder Kunden, die Präzisionspendeluhren ersteigern, ohne sich darüber zu informieren, was es damit auf sich hat und wie man so eine Uhr behandelt. Sie haben einfach nur Geld und wollen sich mal was Gutes gönnen. Da das Auktionshaus die Uhr oft auch liefert und aufstellt, gibt es dann vor Ort manchmal Überraschungen. So zum Beispiel mit einer Tankuhr mit Glaspendel, die an einer völlig ungeeigneten Wand befestigt werden sollte.
Stefan Muser erzählte, mit welch teils hohem Aufwand die Kataloge erstellt werden und daß er, obwohl das Geschäft immer schwieriger wird, gerne an den Großuhren festhalten würde. Immerhin ist sein Auktionshaus das einzige in Europa, was solch einen Umfang an Pendeluhren in die Auktionen aufnimmt. Es kam zu einer Diskussion, wie man vor allem die Jugend für die Uhren begeistern könne. Die Sammler überaltern und sterben, es sind immer mehr vererbte Sammlungen auf dem Markt, auf der anderen Seite aber weniger Interessenten. Der Preisverfall zeigt sich bei allen Antiquitäten. Vielleicht muß man eine Brücke bauen, denn die Jugend hat nicht von der Kindheit an Kontakt mit mechanischen Uhren gehabt wie wir. Wir sind über das Weckerbasteln zur Pendeluhr gekommen, die heutige Jugend muß den Sprung von Handy und Computer gleich zur Präzisionsuhr schaffen. Vielleicht sollten wir in eigenem Interesse dort mal ansetzen, denn es gibt kaum Literatur oder andere Einstiegsmöglichkeiten für Anfänger auf diesem Gebiet, die so angelegt sind, daß sie ein Interesse von Null an wecken könnten.
Nach Stefan Muser fachsimpelte Thomas Rebényi vom Deutschen Museum München über grundsätzliche Fragen, mit denen ein restaurierender Uhrmacher konfrontiert ist. Für das Museum steht der Erinnerungswert im Vordergrund, Herstellungs- und Abnutzungsspuren müssen erhalten und konserviert werden, auch wenn die Uhr dadurch nicht funktioniert. Der Originalzustand ist zunächst mal der, in dem der Restaurator das Stück vorfindet. Der selbständige Uhrmacher ist aber meist mit der Erwartung des Kunden konfrontiert, daß die Uhr wieder einwandfrei wie am ersten Tag funktionieren soll. Hier ist der Uhrmacher gefordert, dann wenigstens mit zeitgenössischen Mitteln zu arbeiten und die neu angefertigten Stücke zu kennzeichnen.
Während des Vortrages fiel mir ein, daß ich Thomas Rebényi schon kannte, er hatte uns ja beim Besuch der Restaurationswerkstatt mit Jan Sliva geführt. Er stellte nun einige Uhren des Museums vor, so zum Beispiel eine Uhr von Klindworth, die noch Steine und Paletten aus Achat hatte. Die Uhrmacher waren zu der Zeit noch nicht in der Lage, den harten Rubin zu bohren. Der weichere Achat hatte aber in dieser Uhr oval ausgelaufene Bohrungen. Im Museum wird so etwas nicht repariert, denn dann wäre diese Information verloren.
Um die Riefler Nr.1 aus dem Museum gab es eine Diskussion, da diese Uhr bereits eine Entkopplung des Gehäuses von der Aufhängung hat. Herr Karl Langer hatte einen Buchartikel mit, in dem beschrieben wird, daß es diese Aufhängung erst nach der Nr. 31 gegeben haben kann, weshalb das ein späterer Umbau sein muß. Zuletzt stellte er noch die Riefler Nr.47 vor, die ein kürzeres Pendel und ein Gangrad mit 25 Zähnen hat und deren Sekundenzeiger in 36 Sekunden eine Umdrehung vollführt. Riefler hatte den Versuch unternommen, die Stunden dezimal zu teilen, was jetzt unter uns Zuhörern ein etwas verwirrendes Rechnen auslöste. Aus dem gleichen Grund hat wohl damals Riefler diese Uhr dem Museum vermacht.
In der Specola Vaticana, der Sternwarte des Vatikans, sollte er einmal eine Pendeluhr in Gang setzen, die eine Denison-Schwerkrafthemmung hatte. Die beiden Gewichtshebel der Hemmung benötigen am Pendel je eine Angriffsfläche, die an einem ankerförmigen Bügel sitzt. Dieses Teil hatte jedoch am Pendel gefehlt, so hatte dort jemand aus einer Metallklemme und Sechskantmuttern Ersatz drangebastelt! Die Sache klärte sich auf, als man in der Sternwarte in einer anderen Uhr ein Pendel fand, das genau diesen Bogen hatte. Irgendwann hatte mal jemand die Pendel vertauscht,und wir wissen nicht, ob es mit Absicht wegen Mängeln an einem Pendel oder aus Unwissenheit geschehen ist. Thomas Rebényi beschloß seinen Vortrag mit der Vorstellung einer Berthoud-Uhr von 1808.
Im Anschluß berichtete uns Ihno Fleßner in seiner lockeren Erzählweise etwas aus seiner Arbeit in der Uhrmacherwerkstatt. Die Hamburger Sternwarte in Bergedorf hatte einen großen Bestand an Uhren und Instrumenten. Irgendwann war man es dort aber satt, all den Kram, den man ja nicht mehr brauchen konnte, bei jeder Inventur zählen zu müssen. So wurde die Sammlung aufgelöst. Eine Tankuhr von Tiede kam zur Uhrmacherschule in Hamburg, wo man sie aber nicht zum Gehen überreden konnte. Ihno Fleßner reparierte das gute Stück. Er zeigte uns Bilder von der sehr sinnvoll konstruierten Schwerkrafthemmung, die er zusammen mit Torge Berger zum Laufen brachte. Die Triebhebel sitzen nicht auf Wellen, sondern sind an 0,03mm starken Federn befestigt! Die Triebe der Uhr haben den Glashütter Einstich, durch den am Zahngrund der dünne Faden entsteht, an dem man sofort erkennen kann, ob das Trieb rund läuft. Wie bei anderen Uhren auch ist das Antriebsrad mit Walze und Gegengesperr das komplizierteste Bauteil, zumal diese Uhr noch einen Aufzugsstopp hat. Interessant ist auch die Abfallverstellung mit einem Schneckenrad. Nach der Fertigstellung und Rückgabe der Uhr an die Uhrmacherschule stand man dort vor dem Problem, die Uhr nun am Laufen zu halten. Denn die Gangreserve reicht nicht, daß sie die Ferien über durchläuft.
Er zeigte auch Bilder aus einer Werkstatt in Hamburg, wo eine Pendeluhr als Zeitnormal für die Einregulierung der Chronometer diente. Als er die Werkstatt, die der Bundeswehr unterstellt war, besuchte, um die Uhr zu fotografieren, wurde mit auf den Sucher geschaut, damit er nichts von außerhalb mit aufnahm. So geheim war das damals auch im Westen. Auch die Chronometer räumte man alle vom Regal.
Dann zeigte Ihno Fleßner noch Bilder einer Uhr von Kittel, der der Gründer der Uhrmacherschule in Altona war. Es war eine Uhr mit Schwerkrafthemmung und einem Hemmrad nach Winnerl. Jürgen Ermert äußerte aber die Ansicht, daß diese Hemmung eine Erfindung Adolf Langes sein müsse. Lange hat ja bei Winnerl gearbeitet, und es existieren keine Uhren von Winnerl selbst mit dieser Form des Hemmrades. Wohl aber von Lange und von Uhrmachern, die mit Adolf Lange bei Winnerl und auch später im Kontakt standen.
Zum Abschluß des Tages sprach wieder ein Mann des Museums, so daß sich ein gesunder Mix verschiedener Sichtweisen ergab. Michael Beck vom astronomisch-physikalischen Kabinett in Kassel stellte uns ältere Stücke vor, denn rein wissenschaftliche PPU vom Stil Strasser und Riefler sind in der Sammlung seines Museums weniger vertreten. In Kassel befindet sich die ältere der beiden astronomischen Uhren von Baldewein und Bucher. Zur Zeit wird dort eine Sonderausstellung mit umfassenden Erklärungen und zahlreichen Animationen gezeigt. Jost Bürgi, ein Schüler und Nachfolger von Baldewein, hat die älteste bekannte Uhr mit Remontoir, also einem Nachspannwerk, gebaut. Die Uhr läuft vier Wochen und hebt alle 24 Stunden ein Gewicht an, welches das Gehwerk dann antreibt. Allerdings hat die Uhr keinen Antrieb in der Phase, wo das Gewicht gehoben wird. Das wurde nicht für nötig erachtet, da die Spindelhemmung von selbst anläuft und ohnehin nicht so genau läuft, daß man das bemerken würde. Zu guter Letzt zeigte er noch Bilder eines Werkes von Strasser, welches eine Kontaktnockenwalze hat, mit der das Zeitsignal von Nauen erzeugt wurde.

Nun war aber unser Aufnahmevermögen erschöpft, und wir ließen den Tag im "Stall" beim Essen vom heißen Stein ausklingen. Ich unterhielt mich mit Ian Fowler, der ein sehr angenehmer Gesprächspartner ist und ähnlich wie ich doch lieber ältere Uhren repariert, an denen man noch viel mit rein handwerklichen Methoden bewirken kann.

Am folgenden Sonntag sollte es schon halb neun weitergehen, da einige wegen des langen Fahrweges mittag nach Hause aufbrechen wollten. Ich hatte vorsichtshalber noch eine Übernachtung gebucht, denn ich mag es nicht, eine eigentlich gemütliche und interessante Diskussion von dem Druck, noch sechs Stunden Fahrt vor mir zu haben, begleitet zu wissen.
Günther Oestmann eröffnete die Vortragsreihe mit einem Beitrag über die Uhren von Kessels. Dabei erklärte er uns die charakteristischen Merkmale der wenigen erhaltenen Uhren. Die Laufwerke sind geradlinig angeordnet und haben zehnzähnige Triebe. Räder und Zapfen sind außergewöhnlich zart, um die Reibung zu vermindern. Aus gleichem Grund hat Kessels die Grahamhemmung so modifiziert, daß der Anker nur über 5,5 Zähne übergreift. Der kleine Anker erfordert deshalb eine sehr präzise Fertigung und Einstellung. Die Hebung ist 1,3°. Die Zartheit der Teile hat Kessels zu entschärfen versucht, indem er für das Ankerrad die Zähne so kurz und stabil wie möglich gestaltet hat. Kessels hat die Platinen am Anker und Gangrad geschlitzt, so daß man diese nach Abnehmen der Kloben leichter einzeln ausbauen kann. Er zog Lager aus einer Kupferbronze den Steinlagern vor, weil er dachte, daß dadurch das Öl länger flüssig bleibt. Seine Rostpendel versah er mit Blattfedern zur Entlastung, zuerst oben, später dann unten, um die Verspannung der Stäbe durch das Pendelgewicht zu kompensieren. Aber mit der Funktion war er wohl selbst nicht so zufrieden. Zink hielt er für den Pendelstab im Ganzen ungeeignet, weil er meinte, es sei zu weich und würde sich durch die Last der Linse verformen. Deshalb hat er selbst auch keine Zink-Kompensationspendel gebaut und nur kurze Zinkröhrchen als Zusatzkompensation verwendet. Das wird aber immer wieder, weil eben auch einer vom anderen abschreibt, behauptet und findet sich auch in Schriften von Grossmann und Dietschold.

Ian Fowler erzählte uns nun etwas über die Restaurierung der Pendeluhr Nr.17 von A. Ericsson aus St. Petersburg aus der Zeit 1882/83. Der gebürtige Schwede Ericsson war ein Chronometermacher, der in St. Petersburg das Geschäft von Viktor Pihl übernahm. Sein Grahamanker übergreift 6,5 Zähne. Das Pendel hatte ursprünglich eine Luftdruck-Kompensation mit einem Quecksilber-Barometerröhrchen, von dem noch die Halterung vorhanden war. Ian zeigte auch ein Bild der merkwürdigen Kontakteinrichtung von der Rückseite. Die Verdrahtung läßt vermuten, daß es sich um einen Polwendekontakt für eine Sekunden-Nebenuhr handelt. Das würde die für die ungestörte Schwingung des Pendels eher ungünstige Anlenkung erklären, die hier dadurch notwendig wird, daß immer beide Kontakte einer Seite, aber niemals beide Seiten der Kontakte gleichzeitig geschlossen sein dürfen. Wir diskutierten dann über die Gefährlichkeit von Quecksilber. Während Ian meinte, man müsse bedenken, daß man es früher auch viel für Heilzwecke und Salben verwendet hat, wurde es von anderen kategorisch abgelehnt. Da das Quecksilber bei dieser Uhr ohnehin fehlte, hat er es durch ein Stück Bleirohr ersetzt, welches er mit Spiegelfolie aus dem Baumarkt beklebt hat. Das sah schon täuschend echt aus. Andere machten den Vorschlag, einen Aluminiumzylinder mit Bleikugeln zu füllen.

Danach beschrieb uns Dr. Benedikt Große-Hovest, der als Restaurator für antike Holzmöbel tätig ist und sich auch dem Holz alter Häuser fachgerecht zuwendet, wie er das Gehäuse dieser Uhr so original wie möglich versucht hat zu erhalten. Die Bilder des Ausgangszustandes lassen erahnen, welche Arbeit darin steckt. Denn das Gehäuse, was in der ehemaligen DDR mit einer undefinierbaren Farbe dick überpinselt und mit Nägeln zusammengehalten wurde, war in einem schlimmen Zustand. Dazu kommt, daß man ursprünglich nur die obere Tür am Zifferblatt öffnen konnte. Dadurch mußte man aber das Gehäuse jedesmal entfernen, wenn man am Pendel regulieren wollte, weshalb man die Front abtrennte und mit Scharnieren befestigte. Dadurch verlor das Gehäuse aber an Stabilität. Benedikt Große-Hovest warnte davor, solche Sachen abzuschleifen, weil dadurch die ursprüngliche Oberfläche, die ja schon mal sehr glatt war, unnötig verändert und vor allem aber heller wird. Dann sehen solche Gehäuse einfach viel zu neu aus. Er benutzte nur chemische Mittel zum Entfernen. Zum Leimen sollte man nur Knochenleim verwenden, denn dieser ist elastischer und läßt sich jederzeit wieder lösen, was bei dem wasserfesten Ponal-Kaltleim nicht möglich ist.

Zum Abschluß erzählte Ihno Fleßner etwas über Pendeluhren aus Glashütte. Er besitzt ja selbst einige Uhren von Strasser & Rohde. In der Universität Jena sollte er eine Uhr reparieren und entdeckte durch eine Glastür zwei weitere Strasser & Rohde-Uhren. Er dachte, daß es sich um die Besenkammer handele, weil Besen und Papierkorb danebenstanden und schrieb einen recht deutlichen Brief an die Direktion. Er bekam eine ebenso deutliche Antwort, daß man ganz bewußt die Uhren dort aufgehängt hätte, weil es die Mauer war, auf der die Kuppel der Sternwarte stand und die deshalb besonders massiv war. Letztendlich bekam er aber doch den Auftrag, auch diese Uhren zu reparieren. Man hatte den Raum um die Uhren herum renoviert, in den zuvor auch öfters Wasser eingedrungen war. Die Gehäuse waren deshalb auch in einem jämmerlichen Zustand. Eine Uhr hat eine längs verstellbare Ankergabel mit einem seitlichen Gewicht, welches wohl erst nachträglich angebracht wurde. Dafür konnten wir nur vom Bild aus auch keine schlüssige Erklärung finden. Amüsiert berichtete er von einem früheren Besuch in der Werkstatt von Karl Friebel in Glashütte. Ich kenne diese Werkstatt auch noch. Man mußte eine enge, gewundene Treppe hinaufsteigen. Auf halber Höhe hatte Karl ein Schild angebracht: "Reparaturannahme jeden 3.Donnertag von 8-12 Uhr". So etwas war für Ihno Fleßner als Werkstattinhaber nicht so richtig zu verstehen.


Zum Abschluß bedankte sich einer der Teilnehmer im Namen aller noch einmal ausdrücklich und sehr herzlich bei Jürgen Ermert für die tolle Organisation, und wir spendeten lange Beifall. Es war wirklich sehr gelungen, die Vorträge sehr informativ und vor allem herrschte eine sehr offene Stimmung. Jeder konnte frei seine Meinung äußern, man merkte deutlich, daß die meisten dankbar für jedes Interesse sind und jeder versuchte, alles so sachlich wie möglich zu beantworten. Zu keinem Zeitpunkt hatte man das Gefühl, daß da nur gehobene Experten sitzen, die abfällig die Nase rümpfen, wenn einer mit weniger Vorkenntnis eine Elementarfrage stellt.

Wie Jürgen erzählte, gab es aber während der Arbeit an den Büchern immer wieder unschöne Erlebnisse, die nur schwer zu verstehen sind. Immerhin ist der Freundeskreis der Präzisionspendeluhren ein sehr kleiner Personenkreis, der alles dafür tun sollte, andere mitzunehmen und zu begeistern. Man kann weder reich noch berühmt damit werden. Warum gibt es dann immer noch Leute, die um die Rechte an einzelnen Bildern und Textpassagen bis vor Gericht ziehen? Geht es doch hier nicht um Bilder, die Millionen interessieren und dem Urheber Reichtum bringen könnten. Im Gegenteil, in unserem kleinen Kreis sollte jeder doch froh sein, wenn sich mindestens noch eine zweite Person dafür interessiert, es veröffentlicht und damit Werbung für diese Uhren macht. Ebenso unverständlich war für mich der Ärger mit der Weitergabe unserer Adressen, den Jürgen im Laufe der Organisation hatte. Dient das Treffen nicht vor allem dazu, neue Kontakte zu gewinnen und als fachkompetenter Ansprechpartner für solche Uhren bekannt zu werden? Da wird mit der Datenschutzkeule gedroht, und im nächsten Moment meldet man sich mit der gleichen Mailadresse bei Amazon oder sonstwo an. Hier würde ich mich freuen, wenn die Arbeit derjenigen, die so etwas auf die Beine stellen, mehr geachtet wird und man noch viel toleranter miteinander umgeht.

Samstag, 26. August 2017

Die Schweizer Ankerhemmung-nicht mehr zu toppen? Teil 4

Wege zur Verbesserung des Wirkungsgrades der Ankerhemmung

Aber auch die üblichen Ankerhemmungen bieten noch genug Möglichkeiten, beim Wissen um die Ursachen des schlechten Wirkungsgrades Verbesserungen vorzunehmen.

Man kann zunächst versuchen, die Nachteile der gewöhnlichen Palettenankerhemmung, wenn man sie kennt, zu mildern. Das beginnt bei einem leichten, elastischen und gut gelagertem Laufwerk. Sind die Räder so angeordnet, daß sich die Triebe und Räder weit voneinander entfernt auf der Welle befinden, dann wirkt jede Welle wie ein Torsionsstab und federt alle Stöße ab. Das wirkt allerdings nur bei größeren Uhren, bei Armbanduhren sind die Wellen im Verhältnis immer noch viel zu starr. Bei Armbanduhren ist die Klebewirkung des Öles von größerer Bedeutung, besonders beim Ankerrad-Lager. Hier sollte unbedingt die Decksteinlagerung zur Anwendung kommen, da die Begrenzung des Höhenspieles an den arrondierten Zapfenenden viel weniger Klebefläche bietet als Wellbaumansätze. Man sollte öfters mal die "Anlaufgüte" eines Laufwerkes überprüfen. Da man ganz gut hört, wann das voll aufgezogene Laufwerk nach dem Loslassen des Ankerrades seine Maximaldrehzahl erreicht hat, könnte man sogar diese Zeit stoppen und vergleichen. Erst wenn diese Zeit wesentlich kleiner als eine Halbschwingungszeit der Unruh ist, kann auch ausreichend Kraft übertragen werden.

 Da mit zunehmender Frequenz und Amplitude auch die Geschwindigkeit der Unruh im Nulldurchgang ansteigt, nimmt dann der Wirkungsgrad der Hemmung stark ab. Ich hatte mal einen Disput mit einem Kollegen, der meinte, die Amplitude würde nicht linear mit der Antriebskraft zunehmen. Wenn man über die verlorene Energie durch Zapfenreibung rechnet, kommt man aber auf eine lineare Abhängigkeit. Daß es trotzdem nicht so ist, liegt an dem mit zunehmender Amplitude abnehmenden Wirkungsgrad!
Bei höherfrequenten Schwingern kann man nur versuchen, das Ankerrad durch Erhöhung der Zähnezahl feiner zu teilen, damit es bei jeder Hebung nur einen kleinen Winkelschritt zurücklegen muß. Damit steigen natürlich die Anforderungen an die Genauigkeit enorm. Ein zentraler Sekundenzeiger ist übrigens Gift für den Wirkungsgrad, denn er bringt eine nicht zu unterschätzende Trägheit in die Getriebekette.
Die Hemmung einer Sekundenpendeluhr wird aufgrund der niedrigen Frequenz und Bewegungsgeschwindigkeit einen viel höheren Wirkungsgrad haben, bei diesen Uhren können wir getrost beim "Anschieben" in der Mittellage bleiben.

Besonders in der modernen Uhrmacherei hat sich die Meinung durchgesetzt, daß der Anker eine kurze Gabel haben sollte. Man begründet das oft mit der nachteiligen Wirkung der Trägheit des Ankers. Das Trägheitsmoment hängt ja mehr vom Radius als von der Masse ab. Schon Moritz Großmann habe das in seiner Preisschrift begründet, heißt es oft. Tatsächlich hat er es aber dort auch nur dahingestellt und keinesfalls wissenschaftlich begründet.
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß sich bei Frequenzen von 2,5 Hz ein langer Anker keinesfalls nachteilig auswirkt. Der Anker ist ja auch ein Getriebe im weitesten Sinne, er übersetzt durch seine unterschiedlichen Hebelarme Geschwindigkeiten und Kräfte. Und im getriebemäßigen Sinne muß die Ankergabel im Verhältnis zu den Klauen lang sein! Durch den langen Hebelarm auf der Seite der Unruh muß sie weniger Kraft für die Auslösung aufbringen. Umgekehrt wird der relativ langsame Impuls der Hebung zur Unruh hin durch die lange Gabel ins Schnelle übersetzt, verringert so die zuvor in dieser Betrachtung erkannten Nachteile. Ich war an der Entwicklung einer Hemmung mit extrem kurzer Gabel beteiligt und mußte mit erleben, wie das gründlich in die Hose gegangen ist. Die Uhr lief nicht nur ungewöhnlich schwer an, sie hatte auch eine zu niedrige Amplitude, sackte in den Hängelagen stark ab und ließ sich kaum regulieren.
Eine Ankerhemmung mit brauchbarem Wirkungsgrad sollte deshalb einen leichten, aber langgabeligen Anker haben. Es muß ja nicht gleich so extrem wie bei alten Jürgensen-Uhren sein, aber der Mann hat sich auch etwas dabei gedacht und sehr schöne, zarte Anker gebaut. Im Schnitt haben sich zehn Grad Ankerdrehwinkel und 30-40 Grad Hebewinkel an der Unruh bewährt. Damit die Ankerklauen im Verhältnis zur Gabel kurz bleiben, darf das Ankerrad nicht zu groß werden. Wenn ich mir die massigen Anker mancher "Präzisionsuhr" anschaue, gibt es dort noch riesige Reserven. Da werden Teile in 100 000 Euro-Uhren eingebaut, die man in der gleichen Qualität in einer Gebrauchsuhr der 60er Jahre finden kann.


Eine große Unzulänglichkeit der Ankerhemmung ist auch der Umstand, daß man entweder die Ruhereibung oder den Antriebsimpuls eingangs und ausgangs auf den gleichen Radius legen kann. Der Grund ist die Breite der Ankerpaletten, auf denen sich der Radzahn eingangs hin zur Achse, also mit sich verkürzendem Hebelarm und ausgangs weg von der Achse bewegt. Da die Ruhereibung die schlimmere Störung verursacht, sind ungleicharmige Anker präziser. Allerdings verliert man dann ausgangs sehr viel vom Impuls, weshalb man für höhere Frequenzen einen Kompromiß eingeht und halbungleicharmige Mischanker verwendet. Dabei wäre es einfacher, die Hebefläche am Anker zu verkleinern und auf den Radzahn zu legen. Dann erhält man eine Stiftankerhemmung, und schon Moritz Großmann hat diese mit Paletten konstruiert. Eine geniale Erfindung, die gleiche Ruhereibung UND gleiche Impulse liefert. Und die genau wie die englische Spitzzahn-Hemmung das Kleben der Paletten an den Hebeflächen verhindert. Warum sie sich nicht durchgesetzt hat?? Vielleicht muß man nur mal erkennen, was das Geniale an dieser Konstellation ist, statt sich mit konkaven und konvexen Hebeflächen an breiten Paletten herumzuschlagen. Oft kommt es auf den Blickwinkel an, auf den Filter, den man anwendet, um herauszufinden, was wichtig und was unwichtig ist. Jede Uhr ist ein Kompromiß, der unter Anwendung dieser Filter geschlossen wurde.

Die Schweizer Ankerhemmung-nicht mehr zu toppen? Teil 3

Der Antrieb über die Spiralfeder- ein Weg aus der Sackgasse?

Trotz aller Verbesserungen werden wir nicht viel Energie bis zur Unruh durchreichen können, wenn wir ihr "hinterherschieben". Die meiste Zeit ist das Laufwerk ja damit beschäftigt, sich selber in die Gänge zu bekommen. Wir müßten etwas haben, was gegen die Bewegungsrichtung des Schwingsystems wirkt, es sozusagen aufzieht. Wie bringen wir denn zum Beispiel die Unruh zum Schwingen, wenn wir eine Spirale abzählen? Wir halten sie mit der Spiralzange fest und versuchen, durch geschickte Drehbewegungen der Zange die Unruh so zum Schwingen zu bringen, daß sie auf dem Glas der Vergleichsuhr tanzt. Am besten gelingt uns das, wenn wir die Zange immer kurz gegen die augenblickliche Drehrichtung der Unruh auslenken und so die Spiralfeder kurz anspannen.
Die Hemmung, die so funktioniert, brauchen wir nicht zu erfinden, es gibt sie schon. Sie wurde von Clemens Riefler von seiner Pendeluhrhemmung auf die Unruh adaptiert. Es sind mir zwei Gangmodelle mit dieser Hemmung bekannt. das eine steht im Deutschen Museum in München, das andere ist im Besitz des Uhrenmuseums Furtwangen und kann zur Zeit im Uhrenmuseum Glashütte betrachtet werden.



Konzentrisch zur Unruhwelle ist darunter der Anker gelagert, an dem das äußere Ende der Spirale befestigt ist. Schwingt die Unruh durch den Nulldurchgang, wechselt auch die Kraftrichtung, mit der die Spirale gespannt wird. Dadurch wird der Anker auch auf die andere Seite gezogen. Er wirkt mit einem Doppelrad, bestehend aus Ruhe- und Heberad, zusammen. Die Spirale zieht also den Anker aus dem Eingriff zum Ruherad, wenn die Unruh den Nulldurchgang passiert. Die andere Ankerklaue trifft auf die schräge Fläche des Heberadzahns, das sich drehende Heberad dreht den Anker wieder in die entgegengesetzte Richtung, wodurch die Spirale ein Stück gespannt wird. Dadurch wird Federspannenergie in das Schwingsystem gegeben, und zwar fast verlustfrei, da gegen die Drehrichtung der Unruh! Hier muß also nichts hinterhereilen. (Man möge mir verzeihen, daß ich hier nicht über Reibung spreche, aber das sind Verluste, die in allen Mechanismen auftreten und die wir bei diesem Vergleich sozusagen "herauskürzen "können.)
Auch in Glashütte wurden mit dieser Hemmung Versuche gemacht, wahrscheinlich an der Uhrmacherschule. Jedenfalls existiert dieses umgebaute OLIW-Taschenuhrwerk. Um das Werk nicht zu sehr umbauen zu müssen, hat man den Anker nach der Seite verlegt. Der zusätzliche, eigentlich unnötige Gabeleingriff kostet aber zusätzlich Kraft, vielleicht müßte man das Werk auch überholen, um die Funktion beurteilen zu können. Als ich es probiert hatte, schaffte es das Hemmungsrad nicht, die Spirale zu spannen.



Leider hat diese Hemmung für Uhren zwei entscheidende Nachteile: Der Zeitpunkt der Auslösung, also wann im Schwingungsbogen der Impuls erfolgt, ist nicht definiert. Es hängt davon ab, wann die Spirale es schafft, die Reibung am Ruhezahn zu überwinden. Da niemals alle Zähne gleich sind, wird es auch von Zahn zu Zahn beim Auslösezeitpunkt Unterschiede geben. Nach der Auslösung wird die Spirale zwar immer um den gleichen Winkel gespannt. Da aber die Gegenkraft der Spirale ansteigt, je weiter die Unruh bereits ausgeschwungen ist, wird die Arbeit der Hemmung erschwert, je langsamer diese die Spirale spannt. Damit das Spannen schnell geschieht, muß das Drehmoment am Ankerrad höher sein als das Moment der Spirale im Umkehrpunkt, sonst würde ja auch der Anker das Rad wieder zurückdrehen. Das bedeutet aber, daß man ein viel höheres Drehmoment im Uhrwerk haben muß, als man zum reinen Betrieb des Schwingsystem bräuchte. Also nützt einem der zuerst scheinbar höhere Wirkungsgrad nicht viel.
Der zweite Nachteil ist, daß sich das gesamte Schwingsystem mitsamt der Spiralbefestigung immer ein Stück verdreht, genau während der Auslösung. Damit setzt sich jede halbe Bewegung des Systems aus Schwingung und einem Stück reiner Rotation zusammen. Wenn Unruh und Spirale gemeinsam während der Auslösung rotieren und in dem Augenblick noch die Spirale gespannt wird, kann man nicht von einer zeitmäßig konstanten Bewegung sprechen. All das hat keinen guten Einfluß auf den Gang und hat mit Sicherheit den Durchbruch dieser Hemmung verhindert, obwohl sie schon lange bekannt ist. So findet man sie auch in Meyers Lexikon von 1898 beschrieben.




Freilich hat sie gerade für tragbare Uhren noch einen sehr großen Vorteil: es sind Amplituden über 360° möglich, sie kann nicht prellen.

Man könnte die Hemmung mit einem zweiten (Auslöse-)Anker ausstatten, der einen normalen Gabeleingriff hat und nur mit einem Ruherad zusammenwirkt. Dann hätte man einen exakten Auslösezeitpunkt gewonnen, aber den Vorteil der Prell-Freiheit verloren und auch noch viel mehr Reibung als zuvor, so daß man am Ende den gleichen Wirkungsgrad bekommen würde wie bei einer guten Ankerhemmung.

Die Dimensionierung einer derartigen Hemmung ist sicher schwer, da der Antriebsimpuls vom Drehwinkel des Ankers und der Federkonstante der Spirale abhängt. Um den Drehwinkel zu ändern, muß man jedesmal die Hemmung neu bauen. Die Federkonstante der Spirale bestimmt auch die Schwingungsdauer der Unruh und ist auch nicht frei wählbar.
Das hat auch Christian Klings zu spüren bekommen, der aber das Prinzip des Antriebes über die Spannung der Spirale auf geniale Weise mit dem Tourbillon kombiniert hat. Er hat seine Hemmung "Freebalance" genannt.



Es gibt einen fest montierten Zahnkranz, der die Funktion des Hemmungsrades übernimmt. Die Kraft des Uhrwerkes treibt ein Gestell an, in dem konzentrisch die Unruh gelagert und das äußere Ende der Spirale befestigt ist. Außerdem befindet sich darin eine Art Chronometerwippe, die verhindert, daß sich das Gestell ohne weiteres drehen kann. Die Unruh löst die Wippe dann aus, wenn sie sich entgegengesetzt zur Drehrichtung des Gestells bewegt. So wird bei jeder Auslösung und Drehung des Gestells die Spirale immer um das gleiche Stück gespannt. Diese Konstruktion hat nun einen exakten Auslösezeitpunkt und eine hundertprozentige Weitergabe der Kraft auf das Schwingsystem.



Natürlich wäre es zu schön, wenn wir jetzt von der idealen Hemmung sprechen könnten. Wenn man die Anordnung genau betrachtet, ist es nichts anderes als ein Nachspannwerk, was direkt auf die Spiralfeder der Unruh wirkt und hat auch die meisten Vor- und Nachteile einer solchen Konstruktion geerbt. Der Vorteil ist außer der vollständigen Kraftübertragung auch der konstante Spannwinkel der Spirale. Sie wird aber nachteilig beeinflußt von dem ungleichmäßigen Auslösewiderstand an der Wippe. Während bei der Riefler'schen Hemmung die Spirale den Anker immer in die Ruhe hineindrückt und man keinen Zugwinkel braucht, ja sogar die Ruhefläche eine ganz leichte Hebung bekommen könnte, muß hier die Wippe trotz der Desmodromik durch leichten Zug gesichert werden. Dadurch steigt der Auslösewiderstand mit der Kraft der Zugfeder, so daß hier bei Vollaufzug die Amplitude noch mehr absinkt. Außerdem wird wie bei allen Nachspannwerken ein Teil der Federkraft der Zugfeder einfach gekappt, denn es kommt nur darauf an, ob der Antrieb es schafft, die Spirale zu spannen oder nicht. Wenn er es schafft, ist es der Spirale egal, mit welchem Kraftüberschuß das geschieht. Die Antriebskraft muß hier aber wesentlich größer sein, als man es zum Spannen der Spirale benötigen würde. Sie muß so groß sein, daß sie größer als die maximale Spannung der Spirale im Umkehrpunkt ist. Sonst wird zwar die Spirale zunächst im Durchgang gespannt. Wenn aber die Unruh weiter ausschwingt, spannt sie ja die Spirale weiter, und zwar gegen die Antriebskraft des Uhrwerkes. Ist diese zu klein, wird das Gestell von ihr rückwärts gedreht und der Radzahn hebt vom Ruhestein ab. Im Bild unten erkennt man eine Art zweiten Anker, der über ein Sperrad gleitet. Damit hat Christian diesem Übel versucht beizukommen. Denn er stellte fest, daß die Hemmung sehr leicht anläuft und auch mit sehr wenig Kraft auskommt, wenn dieser Nachteil nicht wäre. Für das enge Kraftfenster dieser Hemmung brauchen wir also einen Antrieb mit Kette und Schnecke und eine Blockierung der Unruh am Ende der Gangdauer.


Auch Karl Geitz hat sich mit Hemmungen beschäftigt, die den Antriebsimpuls über die Spiralfeder erteilen. Seine Hemmung nutzt genau den Schwachpunkt, daß sich das angetriebene Gestell rückwärts drehen kann, wenn die Spiralspannung die Antriebskraft übersteigt, zur Funktion aus. Durch die Rückwärtsbewegung wird eine Klinke gelöst, das von ihr blockierte Gestell wird frei und schubst die Spirale an. Und hier schließt sich der Kreis meiner kleinen Beschreibung, denn es geschieht genau wie bei Miki Eletas Mechanik am Endpunkt der Schwingung in Richtung der Bewegung, und das auch mit einem hohen Wirkungsgrad, da das Spannen oder Anschieben ja dann passiert, wenn das Schwingsystem fast stillsteht.



Die Schweizer Ankerhemmung-nicht mehr zu toppen? Teil 2

Einteilung der Hemmungen in Resonanz- und Sperrschwinger

Seit es mechanische Uhren gibt, werden zwei Wege beschritten, um die Drehzahl des Laufwerkes konstant zu halten, was ja mit dem genauen Gang einer Uhr gleichbedeutend ist. Begonnen hat man (ohne sich vielleicht darüber bewußt zu sein) eine Schwingung durch das Laufwerk selbst zu erzeugen und diese dann durch ein Schwingsystem zu stabilisieren. Als Kinder haben wir uns ein Kunststoffplättchen mit einer Klammer an der Schutzblechstrebe am Fahrrad befestigt. Wenn es an den Speichen kämmte, geriet es in Schwingungen und imitierte so ein Motorengeräusch. Die einfachste Möglichkeit, mit dem Laufwerk eine Schwingung zu erzeugen, wäre also, ein Zahnrad zu nehmen und mit dessen Zähnen eine Blattfeder zum Schwingen anzuregen. Die Antriebskraft des Laufwerkes selbst erregt die Schwingung. Statt der Blattfeder kann man auch einen Anker mit zwei Klinken (Grashopper-Prinzip), zwei Fahnen (Spindel) oder mit schrägen Hebeflächen(Haken) verwenden. Nach diesem Prinzip funktionierten schon die ersten Spindeluhren, die kein eigenständiges Schwingsystem haben. Es gibt keine Spirale, die Waag wird durch die vom Laufwerk erzeugte Rückführung der Spindelhemmung selbst zurückgeworfen. Da die rücktreibende Kraft nicht konstant ist, ist es die Schwingungsdauer natürlich auch nicht. Um die Uhr regulierbar zu machen, hat man die Waag gegen justierbare Schweinsborsten prellen lassen, eine Vorstufe des Feder-Masse-Schwingers. Erst später bekam die Waag oder eben die Unruh eine Spirale. Damit hatte man ohne es zu wissen ein ganz neues Funktionsprinzip eingeführt. Bisher erzeugte ja das Laufwerk allein die Schwingung. Nun hatte man ein eigenständiges Schwingsystem mit einer vom Laufwerk unabhängigen Eigenfrequenz. Da man nach wie vor die rückführende, nicht selbsthemmende Spindelhemmung verwendete, erregt zwar das Laufwerk über den Anker immer noch die Schwingung. Diese wird aber durch das Schwingsystem stabilisiert, indem zwischen der vom Laufwerk erzeugten Schwingung und der Unruh Resonanz auftritt und diese dem Laufwerk ihre Eigenfrequenz aufzwingt. Da die Resonanz nur dann auftritt, wenn die Frequenz der erzeugten Schwingung nicht zu weit von der Eigenfrequenz des Schwingsystems entfernt ist, muß durch die Dimensionierung der Hemmung und eine konstante Antriebskraft erst mal die Erzeugerfrequenz eingerichtet werden. Wer jetzt meint, das sei alles Schnee von vorgestern, der irrt gewaltig. Jede Quarzuhr funktioniert noch nach diesem Prinzip.

Auch mechanisch werden heute immer wieder Versuche unternommen, Uhren nach dem Resonanzprinzip zu bauen. Junghans hat beispielsweise aus der ganz anderen Motivation heraus, einen lautlosen Ablauf zu erreichen, einen Wecker mit einer magnetischen Hemmung gebaut. Das umlaufende "Ankerrad" hat einen gezahnten, magnetisierten Reif. Dieser läuft durch die magnetischen Enden einer Stimmgabel, so daß diese vom Laufwerk zum Schwingen in ihrer Eigenfrequenz angeregt wird. Dadurch synchronisiert sie wiederum die Ablaufgeschwindigkeit des Räderwerkes.



Diese Hemmung funktioniert nur dann, wenn die Drehzahl des Ankerrades ohne die Stimmgabel nur wenig größer ist, keinesfalls darf sie unter die geregelte Drehzahl abfallen.
Die Firma De Bethune hat eine Armbanduhr mit einer ähnlichen Hemmung "Resonique" auf den Markt gebracht.

Da die meisten Hemmungen, die nach dem Resonanzprinzip arbeiten, rückführend sind , haben sie auch einen sehr guten Wirkungsgrad. Das Laufwerk muß ja nicht wie bei ruhenden oder freien Hemmungen warten, bis der Schwinger durch den Nullpunkt rast.  Vielmehr kann es vom Nullpunkt an schon Energie übertragen und sich in Ruhe gemeinsam mit dem Schwinger "mitbeschleunigen". Der Antrieb beginnt, so wie Miki sich das an seinem Kinderschaukel-Beispiel vorgestellt hat, am Umkehrpunkt der Schwingung.

Das nutzt zum Beispiel die "Genequand-Hemmung". Es handelt sich dabei um eine rückführende Grashopper-Hemmung, an deren Ankerwelle ein Feder -Masse-Schwinger angebracht wurde. Es ist, wenn man genau hinschaut, nichts weiter als eine High-Tech-Variante dieser historischen Hemmung. Das Laufwerk selbst erzeugt die Schwingung und der Feder-Masse-Schwinger versucht, diese zu stabilisieren. Sozusagen der Hakenpflug aus Titan und Carbon unter den Hemmungen. Da man alles hochpräzise aus Silizium bauen kann, ohne Schmierung auskommt und die Frequenz hochsetzt, erreicht man brauchbare Gangergebnisse. Entscheidend ist hier der hohe Wirkungsgrad, die Uhr geht 70 Tage! Freilich ist es keine uhrmacherisch saubere Schwingung, denn rückführend wirken nicht nur die Silizium-Federchen, sondern auch das Laufwerk selbst und auch die Beinchen der Grashopper-Klauen. Man hat wohl versucht, das mit der aufgesetzten Stimmgabel zu kompensieren. Immerhin hat man zehn Jahre daran mit den Möglichkeiten eines wissenschaftlichen Instituts entwickelt, davon kann mancher Uhrmacher nur träumen.

Wir wollen hier nicht darüber philosophieren, ob die zerbrechlichen Silizium-Teilchen noch was mit Uhrmacherkunst zu tun haben. Es geht uns um das Wirkprinzip, das eigentlich mit der Erfindung der ruhenden Hemmungen von den Uhrmachern in den Papierkorb geworfen wurde und nun doch wieder interessant wird, weil eben hier nicht am für den Wirkungsgrad ungünstigen Nullpunkt der Impuls zugeführt wird, sondern während der ganzen Schwingung oder an deren Umkehrpunkten.

Mit der Einführung der ruhenden Hemmungen bediente man sich eines ganz anderen Wirkprinzips. Das Laufwerk kann selbst keine Schwingung mehr erregen, es wird gesperrt. Ohne Schwingsystem geht gar nichts. Dieses schwingt frei mit seiner Eigenfrequenz und schaltet genau im Nulldurchgang die Sperrvorrichtung, also den Anker, so um, daß ein Zahn durchgehen kann. Das Schwingsystem "entsperrt" also das Laufwerk in seinem Rhythmus, und zwar genau an dem Punkt, wo seine Bewegungsenergie am größten ist. Das aus gutem Grund, denn zum Entsperren wird ihm Energie entzogen, es wird zum Teil empfindlich gestört. Während man das noch durch die Qualität der Bauteile halbwegs beherrschen kann, ist der gleichzeitig im Nulldurchgang erteilte Antriebsimpuls in der Richtung der Bewegung der größte Nachteil. Keiner würde versuchen, sein Kind auf der Schaukel in der Senkrechten anzuschieben, die freie Hemmung muß das tun. Und nur so kann man bisher auch Uhren bauen, die sich mit handwerklichen Mitteln vernünftig auch bei niedrigen Frequenzen regulieren lassen. Uhren, die stoisch, egal, welche Kraft noch anliegt, immer gleichmäßig ticken. Das streben wir in der Uhrmacherei an und nennen es Isochronismus. Es hat eine lange Entwicklung bis dahin gebraucht, und ich möchte den Lesern mit dieser Untergliederung wieder klare Sicht verschaffen in dem High-Tech-Dschungel. Erhalten wir uns den Spaß an der Uhrmacherei. Um das zu schaffen, dürfen wir aber nicht stehenbleiben. Auch wenn ich hier keine 100%ige Lösung präsentieren kann, ich bin mir sicher, daß man auch eine Hemmung nach dem uhrmacherisch besseren Sperrschwinger- Prinzip bauen kann, die viel mehr Energie zum Schwingsystem überträgt als die gewöhnliche Ankerhemmung. Ziel sollte es sein, mit einer sauber arbeitenden Lösung eine niedrigfrequent schwingende, lange gehende Uhr zu bauen. Niedrigfrequent deshalb, weil wir doch das Spiel der Mechanik erleben wollen und unsere Uhr Ruhe und Gediegenheit ausstrahlen soll.


Nebenbei möchte ich noch auf eine geniale Uhr hinweisen, die von Herrn Ferner aus Niederau für den Hausmannsturm in Dresden geschaffen wurde. Die Uhr hat einen Anker, der auch Schwinger ist. Es ist ein Waagpendel, wie es früher verwendet wurde, um Regulatorwerke in Buffetuhren einbauen zu können. Alle, die schon mal so eine Uhr in den Händen hatten, wissen, daß es mit der Ganggenauigkeit nicht weit her ist. Das Waagpendel wird von einer Nadelhemmung angetrieben. Nun hängt hinter der Uhr noch ein schweres 2,5s-Pendel, was an sich völlig frei schwingt. Das Pendel ist mit einem Magneten an den Anker gekoppelt, durch den sich beide Schwinger synchronisieren. Das Waagpendel gibt die Antriebsimpulse an das Pendel weiter, und dessen präzise Schwingung stabilisiert die Waag. Schade, daß das sehr wenig bekannt ist.