Samstag, 26. August 2017

Die Schweizer Ankerhemmung-nicht mehr zu toppen? Teil 2

Einteilung der Hemmungen in Resonanz- und Sperrschwinger

Seit es mechanische Uhren gibt, werden zwei Wege beschritten, um die Drehzahl des Laufwerkes konstant zu halten, was ja mit dem genauen Gang einer Uhr gleichbedeutend ist. Begonnen hat man (ohne sich vielleicht darüber bewußt zu sein) eine Schwingung durch das Laufwerk selbst zu erzeugen und diese dann durch ein Schwingsystem zu stabilisieren. Als Kinder haben wir uns ein Kunststoffplättchen mit einer Klammer an der Schutzblechstrebe am Fahrrad befestigt. Wenn es an den Speichen kämmte, geriet es in Schwingungen und imitierte so ein Motorengeräusch. Die einfachste Möglichkeit, mit dem Laufwerk eine Schwingung zu erzeugen, wäre also, ein Zahnrad zu nehmen und mit dessen Zähnen eine Blattfeder zum Schwingen anzuregen. Die Antriebskraft des Laufwerkes selbst erregt die Schwingung. Statt der Blattfeder kann man auch einen Anker mit zwei Klinken (Grashopper-Prinzip), zwei Fahnen (Spindel) oder mit schrägen Hebeflächen(Haken) verwenden. Nach diesem Prinzip funktionierten schon die ersten Spindeluhren, die kein eigenständiges Schwingsystem haben. Es gibt keine Spirale, die Waag wird durch die vom Laufwerk erzeugte Rückführung der Spindelhemmung selbst zurückgeworfen. Da die rücktreibende Kraft nicht konstant ist, ist es die Schwingungsdauer natürlich auch nicht. Um die Uhr regulierbar zu machen, hat man die Waag gegen justierbare Schweinsborsten prellen lassen, eine Vorstufe des Feder-Masse-Schwingers. Erst später bekam die Waag oder eben die Unruh eine Spirale. Damit hatte man ohne es zu wissen ein ganz neues Funktionsprinzip eingeführt. Bisher erzeugte ja das Laufwerk allein die Schwingung. Nun hatte man ein eigenständiges Schwingsystem mit einer vom Laufwerk unabhängigen Eigenfrequenz. Da man nach wie vor die rückführende, nicht selbsthemmende Spindelhemmung verwendete, erregt zwar das Laufwerk über den Anker immer noch die Schwingung. Diese wird aber durch das Schwingsystem stabilisiert, indem zwischen der vom Laufwerk erzeugten Schwingung und der Unruh Resonanz auftritt und diese dem Laufwerk ihre Eigenfrequenz aufzwingt. Da die Resonanz nur dann auftritt, wenn die Frequenz der erzeugten Schwingung nicht zu weit von der Eigenfrequenz des Schwingsystems entfernt ist, muß durch die Dimensionierung der Hemmung und eine konstante Antriebskraft erst mal die Erzeugerfrequenz eingerichtet werden. Wer jetzt meint, das sei alles Schnee von vorgestern, der irrt gewaltig. Jede Quarzuhr funktioniert noch nach diesem Prinzip.

Auch mechanisch werden heute immer wieder Versuche unternommen, Uhren nach dem Resonanzprinzip zu bauen. Junghans hat beispielsweise aus der ganz anderen Motivation heraus, einen lautlosen Ablauf zu erreichen, einen Wecker mit einer magnetischen Hemmung gebaut. Das umlaufende "Ankerrad" hat einen gezahnten, magnetisierten Reif. Dieser läuft durch die magnetischen Enden einer Stimmgabel, so daß diese vom Laufwerk zum Schwingen in ihrer Eigenfrequenz angeregt wird. Dadurch synchronisiert sie wiederum die Ablaufgeschwindigkeit des Räderwerkes.



Diese Hemmung funktioniert nur dann, wenn die Drehzahl des Ankerrades ohne die Stimmgabel nur wenig größer ist, keinesfalls darf sie unter die geregelte Drehzahl abfallen.
Die Firma De Bethune hat eine Armbanduhr mit einer ähnlichen Hemmung "Resonique" auf den Markt gebracht.

Da die meisten Hemmungen, die nach dem Resonanzprinzip arbeiten, rückführend sind , haben sie auch einen sehr guten Wirkungsgrad. Das Laufwerk muß ja nicht wie bei ruhenden oder freien Hemmungen warten, bis der Schwinger durch den Nullpunkt rast.  Vielmehr kann es vom Nullpunkt an schon Energie übertragen und sich in Ruhe gemeinsam mit dem Schwinger "mitbeschleunigen". Der Antrieb beginnt, so wie Miki sich das an seinem Kinderschaukel-Beispiel vorgestellt hat, am Umkehrpunkt der Schwingung.

Das nutzt zum Beispiel die "Genequand-Hemmung". Es handelt sich dabei um eine rückführende Grashopper-Hemmung, an deren Ankerwelle ein Feder -Masse-Schwinger angebracht wurde. Es ist, wenn man genau hinschaut, nichts weiter als eine High-Tech-Variante dieser historischen Hemmung. Das Laufwerk selbst erzeugt die Schwingung und der Feder-Masse-Schwinger versucht, diese zu stabilisieren. Sozusagen der Hakenpflug aus Titan und Carbon unter den Hemmungen. Da man alles hochpräzise aus Silizium bauen kann, ohne Schmierung auskommt und die Frequenz hochsetzt, erreicht man brauchbare Gangergebnisse. Entscheidend ist hier der hohe Wirkungsgrad, die Uhr geht 70 Tage! Freilich ist es keine uhrmacherisch saubere Schwingung, denn rückführend wirken nicht nur die Silizium-Federchen, sondern auch das Laufwerk selbst und auch die Beinchen der Grashopper-Klauen. Man hat wohl versucht, das mit der aufgesetzten Stimmgabel zu kompensieren. Immerhin hat man zehn Jahre daran mit den Möglichkeiten eines wissenschaftlichen Instituts entwickelt, davon kann mancher Uhrmacher nur träumen.

Wir wollen hier nicht darüber philosophieren, ob die zerbrechlichen Silizium-Teilchen noch was mit Uhrmacherkunst zu tun haben. Es geht uns um das Wirkprinzip, das eigentlich mit der Erfindung der ruhenden Hemmungen von den Uhrmachern in den Papierkorb geworfen wurde und nun doch wieder interessant wird, weil eben hier nicht am für den Wirkungsgrad ungünstigen Nullpunkt der Impuls zugeführt wird, sondern während der ganzen Schwingung oder an deren Umkehrpunkten.

Mit der Einführung der ruhenden Hemmungen bediente man sich eines ganz anderen Wirkprinzips. Das Laufwerk kann selbst keine Schwingung mehr erregen, es wird gesperrt. Ohne Schwingsystem geht gar nichts. Dieses schwingt frei mit seiner Eigenfrequenz und schaltet genau im Nulldurchgang die Sperrvorrichtung, also den Anker, so um, daß ein Zahn durchgehen kann. Das Schwingsystem "entsperrt" also das Laufwerk in seinem Rhythmus, und zwar genau an dem Punkt, wo seine Bewegungsenergie am größten ist. Das aus gutem Grund, denn zum Entsperren wird ihm Energie entzogen, es wird zum Teil empfindlich gestört. Während man das noch durch die Qualität der Bauteile halbwegs beherrschen kann, ist der gleichzeitig im Nulldurchgang erteilte Antriebsimpuls in der Richtung der Bewegung der größte Nachteil. Keiner würde versuchen, sein Kind auf der Schaukel in der Senkrechten anzuschieben, die freie Hemmung muß das tun. Und nur so kann man bisher auch Uhren bauen, die sich mit handwerklichen Mitteln vernünftig auch bei niedrigen Frequenzen regulieren lassen. Uhren, die stoisch, egal, welche Kraft noch anliegt, immer gleichmäßig ticken. Das streben wir in der Uhrmacherei an und nennen es Isochronismus. Es hat eine lange Entwicklung bis dahin gebraucht, und ich möchte den Lesern mit dieser Untergliederung wieder klare Sicht verschaffen in dem High-Tech-Dschungel. Erhalten wir uns den Spaß an der Uhrmacherei. Um das zu schaffen, dürfen wir aber nicht stehenbleiben. Auch wenn ich hier keine 100%ige Lösung präsentieren kann, ich bin mir sicher, daß man auch eine Hemmung nach dem uhrmacherisch besseren Sperrschwinger- Prinzip bauen kann, die viel mehr Energie zum Schwingsystem überträgt als die gewöhnliche Ankerhemmung. Ziel sollte es sein, mit einer sauber arbeitenden Lösung eine niedrigfrequent schwingende, lange gehende Uhr zu bauen. Niedrigfrequent deshalb, weil wir doch das Spiel der Mechanik erleben wollen und unsere Uhr Ruhe und Gediegenheit ausstrahlen soll.


Nebenbei möchte ich noch auf eine geniale Uhr hinweisen, die von Herrn Ferner aus Niederau für den Hausmannsturm in Dresden geschaffen wurde. Die Uhr hat einen Anker, der auch Schwinger ist. Es ist ein Waagpendel, wie es früher verwendet wurde, um Regulatorwerke in Buffetuhren einbauen zu können. Alle, die schon mal so eine Uhr in den Händen hatten, wissen, daß es mit der Ganggenauigkeit nicht weit her ist. Das Waagpendel wird von einer Nadelhemmung angetrieben. Nun hängt hinter der Uhr noch ein schweres 2,5s-Pendel, was an sich völlig frei schwingt. Das Pendel ist mit einem Magneten an den Anker gekoppelt, durch den sich beide Schwinger synchronisieren. Das Waagpendel gibt die Antriebsimpulse an das Pendel weiter, und dessen präzise Schwingung stabilisiert die Waag. Schade, daß das sehr wenig bekannt ist.

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