Wege
zur Verbesserung des Wirkungsgrades der Ankerhemmung
Aber
auch die üblichen Ankerhemmungen bieten noch genug Möglichkeiten, beim Wissen
um die Ursachen des schlechten Wirkungsgrades Verbesserungen vorzunehmen.
Man
kann zunächst versuchen, die Nachteile der gewöhnlichen Palettenankerhemmung,
wenn man sie kennt, zu mildern. Das beginnt bei einem leichten, elastischen und
gut gelagertem Laufwerk. Sind die Räder so angeordnet, daß sich die Triebe und
Räder weit voneinander entfernt auf der Welle befinden, dann wirkt jede Welle
wie ein Torsionsstab und federt alle Stöße ab. Das wirkt allerdings nur bei
größeren Uhren, bei Armbanduhren sind die Wellen im Verhältnis immer noch viel
zu starr. Bei Armbanduhren ist die Klebewirkung des Öles von größerer
Bedeutung, besonders beim Ankerrad-Lager. Hier sollte unbedingt die
Decksteinlagerung zur Anwendung kommen, da die Begrenzung des Höhenspieles an
den arrondierten Zapfenenden viel weniger Klebefläche bietet als
Wellbaumansätze. Man sollte öfters mal die "Anlaufgüte" eines
Laufwerkes überprüfen. Da man ganz gut hört, wann das voll aufgezogene Laufwerk
nach dem Loslassen des Ankerrades seine Maximaldrehzahl erreicht hat, könnte
man sogar diese Zeit stoppen und vergleichen. Erst wenn diese Zeit wesentlich
kleiner als eine Halbschwingungszeit der Unruh ist, kann auch ausreichend Kraft
übertragen werden.
Da mit zunehmender Frequenz und Amplitude auch
die Geschwindigkeit der Unruh im Nulldurchgang ansteigt, nimmt dann der
Wirkungsgrad der Hemmung stark ab. Ich hatte mal einen Disput mit einem
Kollegen, der meinte, die Amplitude würde nicht linear mit der Antriebskraft
zunehmen. Wenn man über die verlorene Energie durch Zapfenreibung rechnet,
kommt man aber auf eine lineare Abhängigkeit. Daß es trotzdem nicht so ist,
liegt an dem mit zunehmender Amplitude abnehmenden Wirkungsgrad!
Bei
höherfrequenten Schwingern kann man nur versuchen, das Ankerrad durch Erhöhung
der Zähnezahl feiner zu teilen, damit es bei jeder Hebung nur einen kleinen
Winkelschritt zurücklegen muß. Damit steigen natürlich die Anforderungen an die
Genauigkeit enorm. Ein zentraler Sekundenzeiger ist übrigens Gift für den
Wirkungsgrad, denn er bringt eine nicht zu unterschätzende Trägheit in die
Getriebekette.
Die
Hemmung einer Sekundenpendeluhr wird aufgrund der niedrigen Frequenz und
Bewegungsgeschwindigkeit einen viel höheren Wirkungsgrad haben, bei diesen
Uhren können wir getrost beim "Anschieben" in der Mittellage bleiben.
Besonders
in der modernen Uhrmacherei hat sich die Meinung durchgesetzt, daß der Anker
eine kurze Gabel haben sollte. Man begründet das oft mit der nachteiligen
Wirkung der Trägheit des Ankers. Das Trägheitsmoment hängt ja mehr vom Radius
als von der Masse ab. Schon Moritz Großmann habe das in seiner Preisschrift
begründet, heißt es oft. Tatsächlich hat er es aber dort auch nur dahingestellt
und keinesfalls wissenschaftlich begründet.
Ich
habe die Erfahrung gemacht, daß sich bei Frequenzen von 2,5 Hz ein langer Anker
keinesfalls nachteilig auswirkt. Der Anker ist ja auch ein Getriebe im
weitesten Sinne, er übersetzt durch seine unterschiedlichen Hebelarme
Geschwindigkeiten und Kräfte. Und im getriebemäßigen Sinne muß die Ankergabel
im Verhältnis zu den Klauen lang sein! Durch den langen Hebelarm auf der Seite
der Unruh muß sie weniger Kraft für die Auslösung aufbringen. Umgekehrt wird
der relativ langsame Impuls der Hebung zur Unruh hin durch die lange Gabel ins
Schnelle übersetzt, verringert so die zuvor in dieser Betrachtung erkannten
Nachteile. Ich war an der Entwicklung einer Hemmung mit extrem kurzer Gabel
beteiligt und mußte mit erleben, wie das gründlich in die Hose gegangen ist.
Die Uhr lief nicht nur ungewöhnlich schwer an, sie hatte auch eine zu niedrige
Amplitude, sackte in den Hängelagen stark ab und ließ sich kaum regulieren.
Eine
Ankerhemmung mit brauchbarem Wirkungsgrad sollte deshalb einen leichten, aber
langgabeligen Anker haben. Es muß ja nicht gleich so extrem wie bei alten
Jürgensen-Uhren sein, aber der Mann hat sich auch etwas dabei gedacht und sehr
schöne, zarte Anker gebaut. Im Schnitt haben sich zehn Grad Ankerdrehwinkel und
30-40 Grad Hebewinkel an der Unruh bewährt. Damit die Ankerklauen im Verhältnis
zur Gabel kurz bleiben, darf das Ankerrad nicht zu groß werden. Wenn ich mir
die massigen Anker mancher "Präzisionsuhr" anschaue, gibt es dort
noch riesige Reserven. Da werden Teile in 100 000 Euro-Uhren eingebaut, die man
in der gleichen Qualität in einer Gebrauchsuhr der 60er Jahre finden kann.
Eine
große Unzulänglichkeit der Ankerhemmung ist auch der Umstand, daß man entweder
die Ruhereibung oder den Antriebsimpuls eingangs und ausgangs auf den gleichen
Radius legen kann. Der Grund ist die Breite der Ankerpaletten, auf denen sich
der Radzahn eingangs hin zur Achse, also mit sich verkürzendem Hebelarm und
ausgangs weg von der Achse bewegt. Da die Ruhereibung die schlimmere Störung
verursacht, sind ungleicharmige Anker präziser. Allerdings verliert man dann ausgangs
sehr viel vom Impuls, weshalb man für höhere Frequenzen einen Kompromiß eingeht
und halbungleicharmige Mischanker verwendet. Dabei wäre es einfacher, die
Hebefläche am Anker zu verkleinern und auf den Radzahn zu legen. Dann erhält
man eine Stiftankerhemmung, und schon Moritz Großmann hat diese mit Paletten
konstruiert. Eine geniale Erfindung, die gleiche Ruhereibung UND gleiche
Impulse liefert. Und die genau wie die englische Spitzzahn-Hemmung das Kleben
der Paletten an den Hebeflächen verhindert. Warum sie sich nicht durchgesetzt
hat?? Vielleicht muß man nur mal erkennen, was das Geniale an dieser
Konstellation ist, statt sich mit konkaven und konvexen Hebeflächen an breiten
Paletten herumzuschlagen. Oft kommt es auf den Blickwinkel an, auf den Filter,
den man anwendet, um herauszufinden, was wichtig und was unwichtig ist. Jede
Uhr ist ein Kompromiß, der unter Anwendung dieser Filter geschlossen wurde.
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