Samstag, 26. August 2017

Die Schweizer Ankerhemmung-nicht mehr zu toppen? Teil 4

Wege zur Verbesserung des Wirkungsgrades der Ankerhemmung

Aber auch die üblichen Ankerhemmungen bieten noch genug Möglichkeiten, beim Wissen um die Ursachen des schlechten Wirkungsgrades Verbesserungen vorzunehmen.

Man kann zunächst versuchen, die Nachteile der gewöhnlichen Palettenankerhemmung, wenn man sie kennt, zu mildern. Das beginnt bei einem leichten, elastischen und gut gelagertem Laufwerk. Sind die Räder so angeordnet, daß sich die Triebe und Räder weit voneinander entfernt auf der Welle befinden, dann wirkt jede Welle wie ein Torsionsstab und federt alle Stöße ab. Das wirkt allerdings nur bei größeren Uhren, bei Armbanduhren sind die Wellen im Verhältnis immer noch viel zu starr. Bei Armbanduhren ist die Klebewirkung des Öles von größerer Bedeutung, besonders beim Ankerrad-Lager. Hier sollte unbedingt die Decksteinlagerung zur Anwendung kommen, da die Begrenzung des Höhenspieles an den arrondierten Zapfenenden viel weniger Klebefläche bietet als Wellbaumansätze. Man sollte öfters mal die "Anlaufgüte" eines Laufwerkes überprüfen. Da man ganz gut hört, wann das voll aufgezogene Laufwerk nach dem Loslassen des Ankerrades seine Maximaldrehzahl erreicht hat, könnte man sogar diese Zeit stoppen und vergleichen. Erst wenn diese Zeit wesentlich kleiner als eine Halbschwingungszeit der Unruh ist, kann auch ausreichend Kraft übertragen werden.

 Da mit zunehmender Frequenz und Amplitude auch die Geschwindigkeit der Unruh im Nulldurchgang ansteigt, nimmt dann der Wirkungsgrad der Hemmung stark ab. Ich hatte mal einen Disput mit einem Kollegen, der meinte, die Amplitude würde nicht linear mit der Antriebskraft zunehmen. Wenn man über die verlorene Energie durch Zapfenreibung rechnet, kommt man aber auf eine lineare Abhängigkeit. Daß es trotzdem nicht so ist, liegt an dem mit zunehmender Amplitude abnehmenden Wirkungsgrad!
Bei höherfrequenten Schwingern kann man nur versuchen, das Ankerrad durch Erhöhung der Zähnezahl feiner zu teilen, damit es bei jeder Hebung nur einen kleinen Winkelschritt zurücklegen muß. Damit steigen natürlich die Anforderungen an die Genauigkeit enorm. Ein zentraler Sekundenzeiger ist übrigens Gift für den Wirkungsgrad, denn er bringt eine nicht zu unterschätzende Trägheit in die Getriebekette.
Die Hemmung einer Sekundenpendeluhr wird aufgrund der niedrigen Frequenz und Bewegungsgeschwindigkeit einen viel höheren Wirkungsgrad haben, bei diesen Uhren können wir getrost beim "Anschieben" in der Mittellage bleiben.

Besonders in der modernen Uhrmacherei hat sich die Meinung durchgesetzt, daß der Anker eine kurze Gabel haben sollte. Man begründet das oft mit der nachteiligen Wirkung der Trägheit des Ankers. Das Trägheitsmoment hängt ja mehr vom Radius als von der Masse ab. Schon Moritz Großmann habe das in seiner Preisschrift begründet, heißt es oft. Tatsächlich hat er es aber dort auch nur dahingestellt und keinesfalls wissenschaftlich begründet.
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß sich bei Frequenzen von 2,5 Hz ein langer Anker keinesfalls nachteilig auswirkt. Der Anker ist ja auch ein Getriebe im weitesten Sinne, er übersetzt durch seine unterschiedlichen Hebelarme Geschwindigkeiten und Kräfte. Und im getriebemäßigen Sinne muß die Ankergabel im Verhältnis zu den Klauen lang sein! Durch den langen Hebelarm auf der Seite der Unruh muß sie weniger Kraft für die Auslösung aufbringen. Umgekehrt wird der relativ langsame Impuls der Hebung zur Unruh hin durch die lange Gabel ins Schnelle übersetzt, verringert so die zuvor in dieser Betrachtung erkannten Nachteile. Ich war an der Entwicklung einer Hemmung mit extrem kurzer Gabel beteiligt und mußte mit erleben, wie das gründlich in die Hose gegangen ist. Die Uhr lief nicht nur ungewöhnlich schwer an, sie hatte auch eine zu niedrige Amplitude, sackte in den Hängelagen stark ab und ließ sich kaum regulieren.
Eine Ankerhemmung mit brauchbarem Wirkungsgrad sollte deshalb einen leichten, aber langgabeligen Anker haben. Es muß ja nicht gleich so extrem wie bei alten Jürgensen-Uhren sein, aber der Mann hat sich auch etwas dabei gedacht und sehr schöne, zarte Anker gebaut. Im Schnitt haben sich zehn Grad Ankerdrehwinkel und 30-40 Grad Hebewinkel an der Unruh bewährt. Damit die Ankerklauen im Verhältnis zur Gabel kurz bleiben, darf das Ankerrad nicht zu groß werden. Wenn ich mir die massigen Anker mancher "Präzisionsuhr" anschaue, gibt es dort noch riesige Reserven. Da werden Teile in 100 000 Euro-Uhren eingebaut, die man in der gleichen Qualität in einer Gebrauchsuhr der 60er Jahre finden kann.


Eine große Unzulänglichkeit der Ankerhemmung ist auch der Umstand, daß man entweder die Ruhereibung oder den Antriebsimpuls eingangs und ausgangs auf den gleichen Radius legen kann. Der Grund ist die Breite der Ankerpaletten, auf denen sich der Radzahn eingangs hin zur Achse, also mit sich verkürzendem Hebelarm und ausgangs weg von der Achse bewegt. Da die Ruhereibung die schlimmere Störung verursacht, sind ungleicharmige Anker präziser. Allerdings verliert man dann ausgangs sehr viel vom Impuls, weshalb man für höhere Frequenzen einen Kompromiß eingeht und halbungleicharmige Mischanker verwendet. Dabei wäre es einfacher, die Hebefläche am Anker zu verkleinern und auf den Radzahn zu legen. Dann erhält man eine Stiftankerhemmung, und schon Moritz Großmann hat diese mit Paletten konstruiert. Eine geniale Erfindung, die gleiche Ruhereibung UND gleiche Impulse liefert. Und die genau wie die englische Spitzzahn-Hemmung das Kleben der Paletten an den Hebeflächen verhindert. Warum sie sich nicht durchgesetzt hat?? Vielleicht muß man nur mal erkennen, was das Geniale an dieser Konstellation ist, statt sich mit konkaven und konvexen Hebeflächen an breiten Paletten herumzuschlagen. Oft kommt es auf den Blickwinkel an, auf den Filter, den man anwendet, um herauszufinden, was wichtig und was unwichtig ist. Jede Uhr ist ein Kompromiß, der unter Anwendung dieser Filter geschlossen wurde.

Die Schweizer Ankerhemmung-nicht mehr zu toppen? Teil 3

Der Antrieb über die Spiralfeder- ein Weg aus der Sackgasse?

Trotz aller Verbesserungen werden wir nicht viel Energie bis zur Unruh durchreichen können, wenn wir ihr "hinterherschieben". Die meiste Zeit ist das Laufwerk ja damit beschäftigt, sich selber in die Gänge zu bekommen. Wir müßten etwas haben, was gegen die Bewegungsrichtung des Schwingsystems wirkt, es sozusagen aufzieht. Wie bringen wir denn zum Beispiel die Unruh zum Schwingen, wenn wir eine Spirale abzählen? Wir halten sie mit der Spiralzange fest und versuchen, durch geschickte Drehbewegungen der Zange die Unruh so zum Schwingen zu bringen, daß sie auf dem Glas der Vergleichsuhr tanzt. Am besten gelingt uns das, wenn wir die Zange immer kurz gegen die augenblickliche Drehrichtung der Unruh auslenken und so die Spiralfeder kurz anspannen.
Die Hemmung, die so funktioniert, brauchen wir nicht zu erfinden, es gibt sie schon. Sie wurde von Clemens Riefler von seiner Pendeluhrhemmung auf die Unruh adaptiert. Es sind mir zwei Gangmodelle mit dieser Hemmung bekannt. das eine steht im Deutschen Museum in München, das andere ist im Besitz des Uhrenmuseums Furtwangen und kann zur Zeit im Uhrenmuseum Glashütte betrachtet werden.



Konzentrisch zur Unruhwelle ist darunter der Anker gelagert, an dem das äußere Ende der Spirale befestigt ist. Schwingt die Unruh durch den Nulldurchgang, wechselt auch die Kraftrichtung, mit der die Spirale gespannt wird. Dadurch wird der Anker auch auf die andere Seite gezogen. Er wirkt mit einem Doppelrad, bestehend aus Ruhe- und Heberad, zusammen. Die Spirale zieht also den Anker aus dem Eingriff zum Ruherad, wenn die Unruh den Nulldurchgang passiert. Die andere Ankerklaue trifft auf die schräge Fläche des Heberadzahns, das sich drehende Heberad dreht den Anker wieder in die entgegengesetzte Richtung, wodurch die Spirale ein Stück gespannt wird. Dadurch wird Federspannenergie in das Schwingsystem gegeben, und zwar fast verlustfrei, da gegen die Drehrichtung der Unruh! Hier muß also nichts hinterhereilen. (Man möge mir verzeihen, daß ich hier nicht über Reibung spreche, aber das sind Verluste, die in allen Mechanismen auftreten und die wir bei diesem Vergleich sozusagen "herauskürzen "können.)
Auch in Glashütte wurden mit dieser Hemmung Versuche gemacht, wahrscheinlich an der Uhrmacherschule. Jedenfalls existiert dieses umgebaute OLIW-Taschenuhrwerk. Um das Werk nicht zu sehr umbauen zu müssen, hat man den Anker nach der Seite verlegt. Der zusätzliche, eigentlich unnötige Gabeleingriff kostet aber zusätzlich Kraft, vielleicht müßte man das Werk auch überholen, um die Funktion beurteilen zu können. Als ich es probiert hatte, schaffte es das Hemmungsrad nicht, die Spirale zu spannen.



Leider hat diese Hemmung für Uhren zwei entscheidende Nachteile: Der Zeitpunkt der Auslösung, also wann im Schwingungsbogen der Impuls erfolgt, ist nicht definiert. Es hängt davon ab, wann die Spirale es schafft, die Reibung am Ruhezahn zu überwinden. Da niemals alle Zähne gleich sind, wird es auch von Zahn zu Zahn beim Auslösezeitpunkt Unterschiede geben. Nach der Auslösung wird die Spirale zwar immer um den gleichen Winkel gespannt. Da aber die Gegenkraft der Spirale ansteigt, je weiter die Unruh bereits ausgeschwungen ist, wird die Arbeit der Hemmung erschwert, je langsamer diese die Spirale spannt. Damit das Spannen schnell geschieht, muß das Drehmoment am Ankerrad höher sein als das Moment der Spirale im Umkehrpunkt, sonst würde ja auch der Anker das Rad wieder zurückdrehen. Das bedeutet aber, daß man ein viel höheres Drehmoment im Uhrwerk haben muß, als man zum reinen Betrieb des Schwingsystem bräuchte. Also nützt einem der zuerst scheinbar höhere Wirkungsgrad nicht viel.
Der zweite Nachteil ist, daß sich das gesamte Schwingsystem mitsamt der Spiralbefestigung immer ein Stück verdreht, genau während der Auslösung. Damit setzt sich jede halbe Bewegung des Systems aus Schwingung und einem Stück reiner Rotation zusammen. Wenn Unruh und Spirale gemeinsam während der Auslösung rotieren und in dem Augenblick noch die Spirale gespannt wird, kann man nicht von einer zeitmäßig konstanten Bewegung sprechen. All das hat keinen guten Einfluß auf den Gang und hat mit Sicherheit den Durchbruch dieser Hemmung verhindert, obwohl sie schon lange bekannt ist. So findet man sie auch in Meyers Lexikon von 1898 beschrieben.




Freilich hat sie gerade für tragbare Uhren noch einen sehr großen Vorteil: es sind Amplituden über 360° möglich, sie kann nicht prellen.

Man könnte die Hemmung mit einem zweiten (Auslöse-)Anker ausstatten, der einen normalen Gabeleingriff hat und nur mit einem Ruherad zusammenwirkt. Dann hätte man einen exakten Auslösezeitpunkt gewonnen, aber den Vorteil der Prell-Freiheit verloren und auch noch viel mehr Reibung als zuvor, so daß man am Ende den gleichen Wirkungsgrad bekommen würde wie bei einer guten Ankerhemmung.

Die Dimensionierung einer derartigen Hemmung ist sicher schwer, da der Antriebsimpuls vom Drehwinkel des Ankers und der Federkonstante der Spirale abhängt. Um den Drehwinkel zu ändern, muß man jedesmal die Hemmung neu bauen. Die Federkonstante der Spirale bestimmt auch die Schwingungsdauer der Unruh und ist auch nicht frei wählbar.
Das hat auch Christian Klings zu spüren bekommen, der aber das Prinzip des Antriebes über die Spannung der Spirale auf geniale Weise mit dem Tourbillon kombiniert hat. Er hat seine Hemmung "Freebalance" genannt.



Es gibt einen fest montierten Zahnkranz, der die Funktion des Hemmungsrades übernimmt. Die Kraft des Uhrwerkes treibt ein Gestell an, in dem konzentrisch die Unruh gelagert und das äußere Ende der Spirale befestigt ist. Außerdem befindet sich darin eine Art Chronometerwippe, die verhindert, daß sich das Gestell ohne weiteres drehen kann. Die Unruh löst die Wippe dann aus, wenn sie sich entgegengesetzt zur Drehrichtung des Gestells bewegt. So wird bei jeder Auslösung und Drehung des Gestells die Spirale immer um das gleiche Stück gespannt. Diese Konstruktion hat nun einen exakten Auslösezeitpunkt und eine hundertprozentige Weitergabe der Kraft auf das Schwingsystem.



Natürlich wäre es zu schön, wenn wir jetzt von der idealen Hemmung sprechen könnten. Wenn man die Anordnung genau betrachtet, ist es nichts anderes als ein Nachspannwerk, was direkt auf die Spiralfeder der Unruh wirkt und hat auch die meisten Vor- und Nachteile einer solchen Konstruktion geerbt. Der Vorteil ist außer der vollständigen Kraftübertragung auch der konstante Spannwinkel der Spirale. Sie wird aber nachteilig beeinflußt von dem ungleichmäßigen Auslösewiderstand an der Wippe. Während bei der Riefler'schen Hemmung die Spirale den Anker immer in die Ruhe hineindrückt und man keinen Zugwinkel braucht, ja sogar die Ruhefläche eine ganz leichte Hebung bekommen könnte, muß hier die Wippe trotz der Desmodromik durch leichten Zug gesichert werden. Dadurch steigt der Auslösewiderstand mit der Kraft der Zugfeder, so daß hier bei Vollaufzug die Amplitude noch mehr absinkt. Außerdem wird wie bei allen Nachspannwerken ein Teil der Federkraft der Zugfeder einfach gekappt, denn es kommt nur darauf an, ob der Antrieb es schafft, die Spirale zu spannen oder nicht. Wenn er es schafft, ist es der Spirale egal, mit welchem Kraftüberschuß das geschieht. Die Antriebskraft muß hier aber wesentlich größer sein, als man es zum Spannen der Spirale benötigen würde. Sie muß so groß sein, daß sie größer als die maximale Spannung der Spirale im Umkehrpunkt ist. Sonst wird zwar die Spirale zunächst im Durchgang gespannt. Wenn aber die Unruh weiter ausschwingt, spannt sie ja die Spirale weiter, und zwar gegen die Antriebskraft des Uhrwerkes. Ist diese zu klein, wird das Gestell von ihr rückwärts gedreht und der Radzahn hebt vom Ruhestein ab. Im Bild unten erkennt man eine Art zweiten Anker, der über ein Sperrad gleitet. Damit hat Christian diesem Übel versucht beizukommen. Denn er stellte fest, daß die Hemmung sehr leicht anläuft und auch mit sehr wenig Kraft auskommt, wenn dieser Nachteil nicht wäre. Für das enge Kraftfenster dieser Hemmung brauchen wir also einen Antrieb mit Kette und Schnecke und eine Blockierung der Unruh am Ende der Gangdauer.


Auch Karl Geitz hat sich mit Hemmungen beschäftigt, die den Antriebsimpuls über die Spiralfeder erteilen. Seine Hemmung nutzt genau den Schwachpunkt, daß sich das angetriebene Gestell rückwärts drehen kann, wenn die Spiralspannung die Antriebskraft übersteigt, zur Funktion aus. Durch die Rückwärtsbewegung wird eine Klinke gelöst, das von ihr blockierte Gestell wird frei und schubst die Spirale an. Und hier schließt sich der Kreis meiner kleinen Beschreibung, denn es geschieht genau wie bei Miki Eletas Mechanik am Endpunkt der Schwingung in Richtung der Bewegung, und das auch mit einem hohen Wirkungsgrad, da das Spannen oder Anschieben ja dann passiert, wenn das Schwingsystem fast stillsteht.



Die Schweizer Ankerhemmung-nicht mehr zu toppen? Teil 2

Einteilung der Hemmungen in Resonanz- und Sperrschwinger

Seit es mechanische Uhren gibt, werden zwei Wege beschritten, um die Drehzahl des Laufwerkes konstant zu halten, was ja mit dem genauen Gang einer Uhr gleichbedeutend ist. Begonnen hat man (ohne sich vielleicht darüber bewußt zu sein) eine Schwingung durch das Laufwerk selbst zu erzeugen und diese dann durch ein Schwingsystem zu stabilisieren. Als Kinder haben wir uns ein Kunststoffplättchen mit einer Klammer an der Schutzblechstrebe am Fahrrad befestigt. Wenn es an den Speichen kämmte, geriet es in Schwingungen und imitierte so ein Motorengeräusch. Die einfachste Möglichkeit, mit dem Laufwerk eine Schwingung zu erzeugen, wäre also, ein Zahnrad zu nehmen und mit dessen Zähnen eine Blattfeder zum Schwingen anzuregen. Die Antriebskraft des Laufwerkes selbst erregt die Schwingung. Statt der Blattfeder kann man auch einen Anker mit zwei Klinken (Grashopper-Prinzip), zwei Fahnen (Spindel) oder mit schrägen Hebeflächen(Haken) verwenden. Nach diesem Prinzip funktionierten schon die ersten Spindeluhren, die kein eigenständiges Schwingsystem haben. Es gibt keine Spirale, die Waag wird durch die vom Laufwerk erzeugte Rückführung der Spindelhemmung selbst zurückgeworfen. Da die rücktreibende Kraft nicht konstant ist, ist es die Schwingungsdauer natürlich auch nicht. Um die Uhr regulierbar zu machen, hat man die Waag gegen justierbare Schweinsborsten prellen lassen, eine Vorstufe des Feder-Masse-Schwingers. Erst später bekam die Waag oder eben die Unruh eine Spirale. Damit hatte man ohne es zu wissen ein ganz neues Funktionsprinzip eingeführt. Bisher erzeugte ja das Laufwerk allein die Schwingung. Nun hatte man ein eigenständiges Schwingsystem mit einer vom Laufwerk unabhängigen Eigenfrequenz. Da man nach wie vor die rückführende, nicht selbsthemmende Spindelhemmung verwendete, erregt zwar das Laufwerk über den Anker immer noch die Schwingung. Diese wird aber durch das Schwingsystem stabilisiert, indem zwischen der vom Laufwerk erzeugten Schwingung und der Unruh Resonanz auftritt und diese dem Laufwerk ihre Eigenfrequenz aufzwingt. Da die Resonanz nur dann auftritt, wenn die Frequenz der erzeugten Schwingung nicht zu weit von der Eigenfrequenz des Schwingsystems entfernt ist, muß durch die Dimensionierung der Hemmung und eine konstante Antriebskraft erst mal die Erzeugerfrequenz eingerichtet werden. Wer jetzt meint, das sei alles Schnee von vorgestern, der irrt gewaltig. Jede Quarzuhr funktioniert noch nach diesem Prinzip.

Auch mechanisch werden heute immer wieder Versuche unternommen, Uhren nach dem Resonanzprinzip zu bauen. Junghans hat beispielsweise aus der ganz anderen Motivation heraus, einen lautlosen Ablauf zu erreichen, einen Wecker mit einer magnetischen Hemmung gebaut. Das umlaufende "Ankerrad" hat einen gezahnten, magnetisierten Reif. Dieser läuft durch die magnetischen Enden einer Stimmgabel, so daß diese vom Laufwerk zum Schwingen in ihrer Eigenfrequenz angeregt wird. Dadurch synchronisiert sie wiederum die Ablaufgeschwindigkeit des Räderwerkes.



Diese Hemmung funktioniert nur dann, wenn die Drehzahl des Ankerrades ohne die Stimmgabel nur wenig größer ist, keinesfalls darf sie unter die geregelte Drehzahl abfallen.
Die Firma De Bethune hat eine Armbanduhr mit einer ähnlichen Hemmung "Resonique" auf den Markt gebracht.

Da die meisten Hemmungen, die nach dem Resonanzprinzip arbeiten, rückführend sind , haben sie auch einen sehr guten Wirkungsgrad. Das Laufwerk muß ja nicht wie bei ruhenden oder freien Hemmungen warten, bis der Schwinger durch den Nullpunkt rast.  Vielmehr kann es vom Nullpunkt an schon Energie übertragen und sich in Ruhe gemeinsam mit dem Schwinger "mitbeschleunigen". Der Antrieb beginnt, so wie Miki sich das an seinem Kinderschaukel-Beispiel vorgestellt hat, am Umkehrpunkt der Schwingung.

Das nutzt zum Beispiel die "Genequand-Hemmung". Es handelt sich dabei um eine rückführende Grashopper-Hemmung, an deren Ankerwelle ein Feder -Masse-Schwinger angebracht wurde. Es ist, wenn man genau hinschaut, nichts weiter als eine High-Tech-Variante dieser historischen Hemmung. Das Laufwerk selbst erzeugt die Schwingung und der Feder-Masse-Schwinger versucht, diese zu stabilisieren. Sozusagen der Hakenpflug aus Titan und Carbon unter den Hemmungen. Da man alles hochpräzise aus Silizium bauen kann, ohne Schmierung auskommt und die Frequenz hochsetzt, erreicht man brauchbare Gangergebnisse. Entscheidend ist hier der hohe Wirkungsgrad, die Uhr geht 70 Tage! Freilich ist es keine uhrmacherisch saubere Schwingung, denn rückführend wirken nicht nur die Silizium-Federchen, sondern auch das Laufwerk selbst und auch die Beinchen der Grashopper-Klauen. Man hat wohl versucht, das mit der aufgesetzten Stimmgabel zu kompensieren. Immerhin hat man zehn Jahre daran mit den Möglichkeiten eines wissenschaftlichen Instituts entwickelt, davon kann mancher Uhrmacher nur träumen.

Wir wollen hier nicht darüber philosophieren, ob die zerbrechlichen Silizium-Teilchen noch was mit Uhrmacherkunst zu tun haben. Es geht uns um das Wirkprinzip, das eigentlich mit der Erfindung der ruhenden Hemmungen von den Uhrmachern in den Papierkorb geworfen wurde und nun doch wieder interessant wird, weil eben hier nicht am für den Wirkungsgrad ungünstigen Nullpunkt der Impuls zugeführt wird, sondern während der ganzen Schwingung oder an deren Umkehrpunkten.

Mit der Einführung der ruhenden Hemmungen bediente man sich eines ganz anderen Wirkprinzips. Das Laufwerk kann selbst keine Schwingung mehr erregen, es wird gesperrt. Ohne Schwingsystem geht gar nichts. Dieses schwingt frei mit seiner Eigenfrequenz und schaltet genau im Nulldurchgang die Sperrvorrichtung, also den Anker, so um, daß ein Zahn durchgehen kann. Das Schwingsystem "entsperrt" also das Laufwerk in seinem Rhythmus, und zwar genau an dem Punkt, wo seine Bewegungsenergie am größten ist. Das aus gutem Grund, denn zum Entsperren wird ihm Energie entzogen, es wird zum Teil empfindlich gestört. Während man das noch durch die Qualität der Bauteile halbwegs beherrschen kann, ist der gleichzeitig im Nulldurchgang erteilte Antriebsimpuls in der Richtung der Bewegung der größte Nachteil. Keiner würde versuchen, sein Kind auf der Schaukel in der Senkrechten anzuschieben, die freie Hemmung muß das tun. Und nur so kann man bisher auch Uhren bauen, die sich mit handwerklichen Mitteln vernünftig auch bei niedrigen Frequenzen regulieren lassen. Uhren, die stoisch, egal, welche Kraft noch anliegt, immer gleichmäßig ticken. Das streben wir in der Uhrmacherei an und nennen es Isochronismus. Es hat eine lange Entwicklung bis dahin gebraucht, und ich möchte den Lesern mit dieser Untergliederung wieder klare Sicht verschaffen in dem High-Tech-Dschungel. Erhalten wir uns den Spaß an der Uhrmacherei. Um das zu schaffen, dürfen wir aber nicht stehenbleiben. Auch wenn ich hier keine 100%ige Lösung präsentieren kann, ich bin mir sicher, daß man auch eine Hemmung nach dem uhrmacherisch besseren Sperrschwinger- Prinzip bauen kann, die viel mehr Energie zum Schwingsystem überträgt als die gewöhnliche Ankerhemmung. Ziel sollte es sein, mit einer sauber arbeitenden Lösung eine niedrigfrequent schwingende, lange gehende Uhr zu bauen. Niedrigfrequent deshalb, weil wir doch das Spiel der Mechanik erleben wollen und unsere Uhr Ruhe und Gediegenheit ausstrahlen soll.


Nebenbei möchte ich noch auf eine geniale Uhr hinweisen, die von Herrn Ferner aus Niederau für den Hausmannsturm in Dresden geschaffen wurde. Die Uhr hat einen Anker, der auch Schwinger ist. Es ist ein Waagpendel, wie es früher verwendet wurde, um Regulatorwerke in Buffetuhren einbauen zu können. Alle, die schon mal so eine Uhr in den Händen hatten, wissen, daß es mit der Ganggenauigkeit nicht weit her ist. Das Waagpendel wird von einer Nadelhemmung angetrieben. Nun hängt hinter der Uhr noch ein schweres 2,5s-Pendel, was an sich völlig frei schwingt. Das Pendel ist mit einem Magneten an den Anker gekoppelt, durch den sich beide Schwinger synchronisieren. Das Waagpendel gibt die Antriebsimpulse an das Pendel weiter, und dessen präzise Schwingung stabilisiert die Waag. Schade, daß das sehr wenig bekannt ist.

Die Schweizer Ankerhemmung-nicht mehr zu toppen? Teil 1


Warum der Wirkungsgrad der Hemmung in Kleinuhren so gering ist

Jedes Jahr zur Baseler Uhrenmesse freue ich mich am meisten auf den Besuch des kleinen Standes der AHCI, denn hier bestimmt noch die Uhr selbst die Gestaltung der Ausstellungsfläche. Ich besuche dann fast immer Miki Eleta, einen Uhrenkünstler, der in Zürich seine Werkstatt hat und eigentlich von der Metallbildhauerei über die Gestaltung bewegter Objekte schließlich zu den Uhren gelangt ist. 
Dadurch ist er nicht von dem Zwang vieler Uhrmacher belastet, etwas so und nicht anders machen zu müssen, weil das die Generationen zuvor auch schon immer so getan haben. Voriges Jahr hatte er einen Uhrwerks-UFO kreiert. Umringt von kleinen grünen Männchen aus Glas stand da ein rundes, goldfarbenes Objekt auf schlanken Füßen. Auch im Gehäuse tummeln sich die Außerirdischen auf einer Spiegelfläche und passen auf, daß das große Federhaus am Platz bleibt.



 Wie immer muß man bei Mikis Uhren etwas rätseln, bis man weiß, auf welche Weise hier die Zeit angezeigt wird. Inmitten der Zahnräder und der waagerechten Zifferblätter erhebt sich ein Arm, an dessen Ende die Unruh schwingt. Es ist ein Nachspannwerk, das Gewicht des Armes liefert der Unruh den Antrieb. Ist der Arm fast waagerecht abgesunken, löst er das Federwerk aus, welches ihn wieder anhebt. Da Miki gerne mit Chronometerhemmungen experimentiert (auch seine Pendeluhren haben eine solche patentierte Hemmung), hat er auch hier eine Wippenhemmung verbaut.



Mir fiel sofort auf, daß die Hemmung hinkte, oder wir Uhrmacher würden sagen, der Abfall stimmt noch nicht. Ich meinte zu Miki: "Da hast Du es wohl vor der Messe nicht mehr geschafft, den Abfall zu ziehen?" Miki war entrüstet. "Ach, ihr Uhrmacher! Ihr denkt auch, daß alles immer so sein muß, wie ihr Euch das vorstellt! Wieso soll die Unruh genau dort ihren Schubs bekommen, wo sie am schnellsten ist? Wenn Du ein Kind auf der Schaukel anschiebst, dann machst Du das doch auch nicht in der Mitte der Schwingung! Du wartest, bis es am Umkehrpunkt ist, und dann schiebst Du an!"

Über diesen Satz mußte ich eine Weile nachdenken. In der Uhrmacherei legen wir immer den Angriffspunkt der Hemmung in den Nulldurchgang. Das hat für uns sehr viele Gründe. Den ersten hat auch Miki zu spüren bekommen, denn er meinte, er habe eine ganze Weile gebraucht, die Uhr so weit zu bringen, daß sie nicht stehenbleibt. Nur wenn der Impuls im Nulldurchgang kommt, kann die Uhr ja auch von alleine anlaufen. Verschieben wir die Impulslage, bleibt die Uhr stehen, wenn die Amplitude so klein wird, daß die Unruh die Hemmung gar nicht mehr erreicht. Andere Gründe finden wir in "Feinstellung der Uhren" von Giebel und Helwig. Die Impulse, die die Hemmung entzieht und ausgibt, wirken beschleunigend und verzögernd auf die Schwingungsdauer der Unruh. Das hängt davon ab, ob sie vor oder nach der Mittellage erfolgen, bremsend oder antreibend wirken. Da die Ankerhemmung symmetrisch arbeitet (jedenfalls sollte sie das), heben sich die Einflüsse der Impulse links und rechts Einflüsse auf, wenn ihr Einfluß genau auf den Nulldurchgang ausgerichtet ist, oder anders gesagt, wenn auf der Zeitwaage die schöne Linie erscheint und keine Pferdewagenspur.

Trotzdem tut die Ankerhemmung genau das, was kein Vater mit seinem Kinde auf der Schaukel tun würde, sie schiebt genau in der Mitte der Schwingbewegung an. Wenn unser Kind besonders hoch schaukelt, könnten wir gar nicht so schnell schieben, um ihm noch einen Antrieb zu vermitteln, wenn es mit hoher Geschwindigkeit durch die Senkrechte saust. Und das ist mit der Ankerhemmung nicht anders. Die meisten Ankerhemmungen haben nur Wirkungsgrade um 40%, und trotzdem wird die Konstruktion als der Endpunkt einer Entwicklung angesehen, als das perfekte, nicht zu toppende Konstrukt! Wenn wir nur auf 80% kämen, könnte unsere Uhr doppelt so lange gehen!

Stellen wir uns doch mal die Bewegungen vor unserem geistigen Auge vor. Die Unruh kommt aus dem Umkehrpunkt und wird von der gespannten Spirale beschleunigt. Wenn sie fast am schnellsten ist, reißt sie den Anker schlagartig aus dem Eingriff. Dabei schubst der das Ankerrad zunächst mal rückwärts, denn der Zug muß ja überwunden werden. Erst jetzt kann das Laufwerk anfangen, das Hemmungsrad zu beschleunigen. Bis der Radzahn dann endlich an der Hebefläche der Palette angelangt ist, hat sich diese schon ein ganzes Stück weiter bewegt. Ich habe an einer alten Taschenuhr, die vielleicht auch schon mal mit Diamantpulver in Berührung gekommen ist, gesehen, daß die Ankerpalette eingelaufen war. Aber nur im letzten Drittel der Hebefläche, der vordere Teil war unberührt!

Selbst wenn der Radzahn nun endlich auf die Hebefläche drücken kann, wird diese von der Unruh vom Zahne weggezogen. Der übertragene Impuls ist also nur so stark, wie das Laufwerk sich schneller bewegen kann als die von der Unruh bereits beschleunigte Ankerklaue. Na ja, perfekt ist irgendwie anders. Um der Sache nun auf den Grund zu gehen, müssen wir erst mal die dahinter steckenden Prinzipien versuchen zu verstehen.