Dienstag, 3. Oktober 2017

Ein Treffen von Freunden astronomischer Präzisionspendeluhren, organisiert von Jürgen Ermert

Jürgen Ermert hatte den 2. und 4. Band seiner Buchreihe "Präzisionspendeluhren in Deutschland von 1730 bis 1940" fertiggestellt und auch aus diesem Anlaß langfristig ein Treffen organisiert. Es sollte im Landhotel "Naaf's Häuschen" zwischen Overath und Lohmar stattfinden. Schon im Januar hatte Jürgen den größten Teil organisiert, die Einladungen verschickt und das Hotel mit seinem Tagungsraum gebucht. Ich hatte beschlossen, mir keinen Streß zu machen und schon Freitag abend anzureisen, schließlich hatte ich fast sechs Stunden Fahrt vor mir. Das Landhotel war wohl früher ein größerer Gutshof gewesen, es besteht aus mehreren Gebäuden. Vorn an der Straße gut sichtbar liegt das Restaurant, so daß viele irrtümlich zunächst dort auf den Parkplatz fuhren.


Das eigentliche Landhotel liegt etwas versteckt davor, so daß man als Ortsfremder fast immer vorbeifährt, wenn man von Overath kommt. Hinter dem recht vornehmen Restaurant gab es noch eine rustikale Schänke im ehemaligen Stallgebäude. Das sagte mir für das Abendbrot mehr zu. Mit einigen, die zum Treffen erwartet wurden, hatte ich schon vorher Kontakt, aber ich kannte kaum einen vom Sehen her. Als ich zum Essen ging, sah ich aber Christian Pfeiffer-Belli auf der Terasse sitzen und seinen Vortrag vorbereiten. Wir sprachen kurz miteinander, als mich ein fremder Mann freundlich begrüßte, aber gleich weiterlief. Später stellte sich heraus, daß es Jürgen Ermert war, mit dem ich per Mail schon viel Kontakt hatte.
In der Schänke dachte ich, daß vielleicht schon viele da sein könnten, aber ich saß zunächst alleine da. Später kam ein älterer Herr herein und machte den gleichen suchenden Eindruck wie ich. Ich sprach ihn an, ob er auch zu dem Treffen wolle. Es stellte sich heraus, daß er aus New York gekommen war. Es war Fortunat Mueller-Maerki, der eigentlich aus der Schweiz stammt und eine unglaubliche Sammlung an Uhrenbüchern und Fachtiteln besitzt (wenn ich mir es richtig gemerkt habe, sind es fast 27 000). Er hat darüber eine Liste geführt, in die er auch Literatur aufgenommen hat, die er nicht selbst besitzt, aber deren Aufbewahrungsort er kennt. Er ist Mitglied der NAWCC (National Association of watch & clock collectors).

Am Sonnabend regnete es von früh an. Uns konnte das wenig stören, aber für den Transport der Uhren aus dem Auto war es weniger schön. Jürgen hatte es so organisiert, daß es erst mal bis zum Mittag eine lockere Gesprächsrunde gab, damit sich alle kennenlernen konnten.


Das war sehr klug gedacht, denn wenn man von Anfang an nur im Tagungsaal hockt, kommt man maximal mit seinen Nachbarn etwas ins Gespräch. Es gab noch einen zweiten Raum, in dem einige Uhren präsentiert wurden. Ian Fowler hatte extra einen Ständer gebaut, an dem er das Werk der Ericsson-Pendeluhr, die er später noch im Vortrag beschreiben wollte, zum Gehen brachte.


Wir rätselten über die merkwürdige Anordnung der vier Kontakthebel, die ja die Pendelschwingung sehr zu stören schienen. Torge Berger vom Uhrenmuseum Bad Grund hatte das Werk einer Riefler-Uhr dabei, und auf dem zentralen Tisch, wo auch das restaurierte Gehäuse der Ericsson-Uhr lag, wurden nach und nach immer mehr Uhrwerke gezeigt. Dabei war auch ein sehr altes deutsches Uhrwerk einer Standuhr mit einem Kalender und einem Stundenzeiger, der sich gegen den Uhrzeigersinn bewegte. Über die Anzeige der Mondphase und des Mondalters begann eine heftige Diskussion, und das Problem konnte, so glaube ich, bis zum Ende der Tagung nicht geklärt werden. Unter der Anzeige drehten sich zwei Räder, die beide in das gleiche Trieb eingriffen. Eines hatte 59, das andere 57 Zähne, woraus man schloß, daß es sich um die sinodische und siderische Mondphasenanzeige handeln müsse. Aber was genau auf dem Zifferblatt dargestellt wurde, konnte wohl nicht geklärt werden.


Am Fenster stand ein Standuhrgehäuse mit einem Riefler-Pendel, einigen elektrischen Relais und sehr viel Verdrahtung. Das Gehäuse war einfach, man konnte sehen, daß es sich mehr um eine Versuchsanordnung als um eine Uhr handelte. Der Besitzer hatte sie vom Dachboden einer Ingenieurschule gerettet  und wird sie wohl auch noch vor dem einen oder anderen bewahren müssen, der mehr an dem Pendel als an allem anderen interessiert ist. Es soll sich wohl um eine ungewöhnliche Ausführung des Rieflerpendels mit stärker gewölbter Linse handeln, und der Pendelstab ist mit "KRUPP" gestempelt. Aber der Versuchsaufbau ist ebenso interessant, denn man hat versucht, die Kugelhemmung, bei der das Pendel völlig frei nur durch das abwechselnde Übergewicht zweier Kugeln angetrieben wird, elektrisch zu betätigen. Leider fehlte aber gerade der Steuerkontakt und zwei der Gewichte. Man müßte nach der Verdrahtung den Schaltplan aufzeichnen, um verstehen zu können, wie es einmal gedacht war und wie das fehlende Teil ausgesehen haben könnte.


Nach dem Mittagessen wußte nun jeder schon ein bißchen mehr von den anderen, so daß die Atmosphäre im Tagungsraum recht locker und angenehm war. Jürgen Ermert sprach einige einleitende Sätze und erhielt sehr viel Beifall für seine beiden Buchbände, wenngleich wir uns es nicht verkneifen konnten, ihn immer wieder zu Band 5 anzustacheln.


Christian Pfeiffer-Belli eröffnete die Vortragsserie mit einer kurzen Erzählung über seinen persönlichen Werdegang und die Entstehung der Buchreihe, an deren Layout er mit beteiligt war. Und er erzählte vom Nachbau einer historischen Präzisionspendeluhr durch Josef Sulzer, der darüber auch ein Buch verfaßt hatte:
Josef Sulzer - Wien - Pendeluhren
Herausgeber: Verlag Neumann Wien
Gestaltung: Josef Sulzer
ISBN 978-3-902462-08-4
Danach sprach Stefan Muser von Auktionshaus Crott über Erlebnisse beim Ankauf und der Versteigerung von Pendeluhren. Es gibt leider immer wieder Kunden, die Präzisionspendeluhren ersteigern, ohne sich darüber zu informieren, was es damit auf sich hat und wie man so eine Uhr behandelt. Sie haben einfach nur Geld und wollen sich mal was Gutes gönnen. Da das Auktionshaus die Uhr oft auch liefert und aufstellt, gibt es dann vor Ort manchmal Überraschungen. So zum Beispiel mit einer Tankuhr mit Glaspendel, die an einer völlig ungeeigneten Wand befestigt werden sollte.
Stefan Muser erzählte, mit welch teils hohem Aufwand die Kataloge erstellt werden und daß er, obwohl das Geschäft immer schwieriger wird, gerne an den Großuhren festhalten würde. Immerhin ist sein Auktionshaus das einzige in Europa, was solch einen Umfang an Pendeluhren in die Auktionen aufnimmt. Es kam zu einer Diskussion, wie man vor allem die Jugend für die Uhren begeistern könne. Die Sammler überaltern und sterben, es sind immer mehr vererbte Sammlungen auf dem Markt, auf der anderen Seite aber weniger Interessenten. Der Preisverfall zeigt sich bei allen Antiquitäten. Vielleicht muß man eine Brücke bauen, denn die Jugend hat nicht von der Kindheit an Kontakt mit mechanischen Uhren gehabt wie wir. Wir sind über das Weckerbasteln zur Pendeluhr gekommen, die heutige Jugend muß den Sprung von Handy und Computer gleich zur Präzisionsuhr schaffen. Vielleicht sollten wir in eigenem Interesse dort mal ansetzen, denn es gibt kaum Literatur oder andere Einstiegsmöglichkeiten für Anfänger auf diesem Gebiet, die so angelegt sind, daß sie ein Interesse von Null an wecken könnten.
Nach Stefan Muser fachsimpelte Thomas Rebényi vom Deutschen Museum München über grundsätzliche Fragen, mit denen ein restaurierender Uhrmacher konfrontiert ist. Für das Museum steht der Erinnerungswert im Vordergrund, Herstellungs- und Abnutzungsspuren müssen erhalten und konserviert werden, auch wenn die Uhr dadurch nicht funktioniert. Der Originalzustand ist zunächst mal der, in dem der Restaurator das Stück vorfindet. Der selbständige Uhrmacher ist aber meist mit der Erwartung des Kunden konfrontiert, daß die Uhr wieder einwandfrei wie am ersten Tag funktionieren soll. Hier ist der Uhrmacher gefordert, dann wenigstens mit zeitgenössischen Mitteln zu arbeiten und die neu angefertigten Stücke zu kennzeichnen.
Während des Vortrages fiel mir ein, daß ich Thomas Rebényi schon kannte, er hatte uns ja beim Besuch der Restaurationswerkstatt mit Jan Sliva geführt. Er stellte nun einige Uhren des Museums vor, so zum Beispiel eine Uhr von Klindworth, die noch Steine und Paletten aus Achat hatte. Die Uhrmacher waren zu der Zeit noch nicht in der Lage, den harten Rubin zu bohren. Der weichere Achat hatte aber in dieser Uhr oval ausgelaufene Bohrungen. Im Museum wird so etwas nicht repariert, denn dann wäre diese Information verloren.
Um die Riefler Nr.1 aus dem Museum gab es eine Diskussion, da diese Uhr bereits eine Entkopplung des Gehäuses von der Aufhängung hat. Herr Karl Langer hatte einen Buchartikel mit, in dem beschrieben wird, daß es diese Aufhängung erst nach der Nr. 31 gegeben haben kann, weshalb das ein späterer Umbau sein muß. Zuletzt stellte er noch die Riefler Nr.47 vor, die ein kürzeres Pendel und ein Gangrad mit 25 Zähnen hat und deren Sekundenzeiger in 36 Sekunden eine Umdrehung vollführt. Riefler hatte den Versuch unternommen, die Stunden dezimal zu teilen, was jetzt unter uns Zuhörern ein etwas verwirrendes Rechnen auslöste. Aus dem gleichen Grund hat wohl damals Riefler diese Uhr dem Museum vermacht.
In der Specola Vaticana, der Sternwarte des Vatikans, sollte er einmal eine Pendeluhr in Gang setzen, die eine Denison-Schwerkrafthemmung hatte. Die beiden Gewichtshebel der Hemmung benötigen am Pendel je eine Angriffsfläche, die an einem ankerförmigen Bügel sitzt. Dieses Teil hatte jedoch am Pendel gefehlt, so hatte dort jemand aus einer Metallklemme und Sechskantmuttern Ersatz drangebastelt! Die Sache klärte sich auf, als man in der Sternwarte in einer anderen Uhr ein Pendel fand, das genau diesen Bogen hatte. Irgendwann hatte mal jemand die Pendel vertauscht,und wir wissen nicht, ob es mit Absicht wegen Mängeln an einem Pendel oder aus Unwissenheit geschehen ist. Thomas Rebényi beschloß seinen Vortrag mit der Vorstellung einer Berthoud-Uhr von 1808.
Im Anschluß berichtete uns Ihno Fleßner in seiner lockeren Erzählweise etwas aus seiner Arbeit in der Uhrmacherwerkstatt. Die Hamburger Sternwarte in Bergedorf hatte einen großen Bestand an Uhren und Instrumenten. Irgendwann war man es dort aber satt, all den Kram, den man ja nicht mehr brauchen konnte, bei jeder Inventur zählen zu müssen. So wurde die Sammlung aufgelöst. Eine Tankuhr von Tiede kam zur Uhrmacherschule in Hamburg, wo man sie aber nicht zum Gehen überreden konnte. Ihno Fleßner reparierte das gute Stück. Er zeigte uns Bilder von der sehr sinnvoll konstruierten Schwerkrafthemmung, die er zusammen mit Torge Berger zum Laufen brachte. Die Triebhebel sitzen nicht auf Wellen, sondern sind an 0,03mm starken Federn befestigt! Die Triebe der Uhr haben den Glashütter Einstich, durch den am Zahngrund der dünne Faden entsteht, an dem man sofort erkennen kann, ob das Trieb rund läuft. Wie bei anderen Uhren auch ist das Antriebsrad mit Walze und Gegengesperr das komplizierteste Bauteil, zumal diese Uhr noch einen Aufzugsstopp hat. Interessant ist auch die Abfallverstellung mit einem Schneckenrad. Nach der Fertigstellung und Rückgabe der Uhr an die Uhrmacherschule stand man dort vor dem Problem, die Uhr nun am Laufen zu halten. Denn die Gangreserve reicht nicht, daß sie die Ferien über durchläuft.
Er zeigte auch Bilder aus einer Werkstatt in Hamburg, wo eine Pendeluhr als Zeitnormal für die Einregulierung der Chronometer diente. Als er die Werkstatt, die der Bundeswehr unterstellt war, besuchte, um die Uhr zu fotografieren, wurde mit auf den Sucher geschaut, damit er nichts von außerhalb mit aufnahm. So geheim war das damals auch im Westen. Auch die Chronometer räumte man alle vom Regal.
Dann zeigte Ihno Fleßner noch Bilder einer Uhr von Kittel, der der Gründer der Uhrmacherschule in Altona war. Es war eine Uhr mit Schwerkrafthemmung und einem Hemmrad nach Winnerl. Jürgen Ermert äußerte aber die Ansicht, daß diese Hemmung eine Erfindung Adolf Langes sein müsse. Lange hat ja bei Winnerl gearbeitet, und es existieren keine Uhren von Winnerl selbst mit dieser Form des Hemmrades. Wohl aber von Lange und von Uhrmachern, die mit Adolf Lange bei Winnerl und auch später im Kontakt standen.
Zum Abschluß des Tages sprach wieder ein Mann des Museums, so daß sich ein gesunder Mix verschiedener Sichtweisen ergab. Michael Beck vom astronomisch-physikalischen Kabinett in Kassel stellte uns ältere Stücke vor, denn rein wissenschaftliche PPU vom Stil Strasser und Riefler sind in der Sammlung seines Museums weniger vertreten. In Kassel befindet sich die ältere der beiden astronomischen Uhren von Baldewein und Bucher. Zur Zeit wird dort eine Sonderausstellung mit umfassenden Erklärungen und zahlreichen Animationen gezeigt. Jost Bürgi, ein Schüler und Nachfolger von Baldewein, hat die älteste bekannte Uhr mit Remontoir, also einem Nachspannwerk, gebaut. Die Uhr läuft vier Wochen und hebt alle 24 Stunden ein Gewicht an, welches das Gehwerk dann antreibt. Allerdings hat die Uhr keinen Antrieb in der Phase, wo das Gewicht gehoben wird. Das wurde nicht für nötig erachtet, da die Spindelhemmung von selbst anläuft und ohnehin nicht so genau läuft, daß man das bemerken würde. Zu guter Letzt zeigte er noch Bilder eines Werkes von Strasser, welches eine Kontaktnockenwalze hat, mit der das Zeitsignal von Nauen erzeugt wurde.

Nun war aber unser Aufnahmevermögen erschöpft, und wir ließen den Tag im "Stall" beim Essen vom heißen Stein ausklingen. Ich unterhielt mich mit Ian Fowler, der ein sehr angenehmer Gesprächspartner ist und ähnlich wie ich doch lieber ältere Uhren repariert, an denen man noch viel mit rein handwerklichen Methoden bewirken kann.

Am folgenden Sonntag sollte es schon halb neun weitergehen, da einige wegen des langen Fahrweges mittag nach Hause aufbrechen wollten. Ich hatte vorsichtshalber noch eine Übernachtung gebucht, denn ich mag es nicht, eine eigentlich gemütliche und interessante Diskussion von dem Druck, noch sechs Stunden Fahrt vor mir zu haben, begleitet zu wissen.
Günther Oestmann eröffnete die Vortragsreihe mit einem Beitrag über die Uhren von Kessels. Dabei erklärte er uns die charakteristischen Merkmale der wenigen erhaltenen Uhren. Die Laufwerke sind geradlinig angeordnet und haben zehnzähnige Triebe. Räder und Zapfen sind außergewöhnlich zart, um die Reibung zu vermindern. Aus gleichem Grund hat Kessels die Grahamhemmung so modifiziert, daß der Anker nur über 5,5 Zähne übergreift. Der kleine Anker erfordert deshalb eine sehr präzise Fertigung und Einstellung. Die Hebung ist 1,3°. Die Zartheit der Teile hat Kessels zu entschärfen versucht, indem er für das Ankerrad die Zähne so kurz und stabil wie möglich gestaltet hat. Kessels hat die Platinen am Anker und Gangrad geschlitzt, so daß man diese nach Abnehmen der Kloben leichter einzeln ausbauen kann. Er zog Lager aus einer Kupferbronze den Steinlagern vor, weil er dachte, daß dadurch das Öl länger flüssig bleibt. Seine Rostpendel versah er mit Blattfedern zur Entlastung, zuerst oben, später dann unten, um die Verspannung der Stäbe durch das Pendelgewicht zu kompensieren. Aber mit der Funktion war er wohl selbst nicht so zufrieden. Zink hielt er für den Pendelstab im Ganzen ungeeignet, weil er meinte, es sei zu weich und würde sich durch die Last der Linse verformen. Deshalb hat er selbst auch keine Zink-Kompensationspendel gebaut und nur kurze Zinkröhrchen als Zusatzkompensation verwendet. Das wird aber immer wieder, weil eben auch einer vom anderen abschreibt, behauptet und findet sich auch in Schriften von Grossmann und Dietschold.

Ian Fowler erzählte uns nun etwas über die Restaurierung der Pendeluhr Nr.17 von A. Ericsson aus St. Petersburg aus der Zeit 1882/83. Der gebürtige Schwede Ericsson war ein Chronometermacher, der in St. Petersburg das Geschäft von Viktor Pihl übernahm. Sein Grahamanker übergreift 6,5 Zähne. Das Pendel hatte ursprünglich eine Luftdruck-Kompensation mit einem Quecksilber-Barometerröhrchen, von dem noch die Halterung vorhanden war. Ian zeigte auch ein Bild der merkwürdigen Kontakteinrichtung von der Rückseite. Die Verdrahtung läßt vermuten, daß es sich um einen Polwendekontakt für eine Sekunden-Nebenuhr handelt. Das würde die für die ungestörte Schwingung des Pendels eher ungünstige Anlenkung erklären, die hier dadurch notwendig wird, daß immer beide Kontakte einer Seite, aber niemals beide Seiten der Kontakte gleichzeitig geschlossen sein dürfen. Wir diskutierten dann über die Gefährlichkeit von Quecksilber. Während Ian meinte, man müsse bedenken, daß man es früher auch viel für Heilzwecke und Salben verwendet hat, wurde es von anderen kategorisch abgelehnt. Da das Quecksilber bei dieser Uhr ohnehin fehlte, hat er es durch ein Stück Bleirohr ersetzt, welches er mit Spiegelfolie aus dem Baumarkt beklebt hat. Das sah schon täuschend echt aus. Andere machten den Vorschlag, einen Aluminiumzylinder mit Bleikugeln zu füllen.

Danach beschrieb uns Dr. Benedikt Große-Hovest, der als Restaurator für antike Holzmöbel tätig ist und sich auch dem Holz alter Häuser fachgerecht zuwendet, wie er das Gehäuse dieser Uhr so original wie möglich versucht hat zu erhalten. Die Bilder des Ausgangszustandes lassen erahnen, welche Arbeit darin steckt. Denn das Gehäuse, was in der ehemaligen DDR mit einer undefinierbaren Farbe dick überpinselt und mit Nägeln zusammengehalten wurde, war in einem schlimmen Zustand. Dazu kommt, daß man ursprünglich nur die obere Tür am Zifferblatt öffnen konnte. Dadurch mußte man aber das Gehäuse jedesmal entfernen, wenn man am Pendel regulieren wollte, weshalb man die Front abtrennte und mit Scharnieren befestigte. Dadurch verlor das Gehäuse aber an Stabilität. Benedikt Große-Hovest warnte davor, solche Sachen abzuschleifen, weil dadurch die ursprüngliche Oberfläche, die ja schon mal sehr glatt war, unnötig verändert und vor allem aber heller wird. Dann sehen solche Gehäuse einfach viel zu neu aus. Er benutzte nur chemische Mittel zum Entfernen. Zum Leimen sollte man nur Knochenleim verwenden, denn dieser ist elastischer und läßt sich jederzeit wieder lösen, was bei dem wasserfesten Ponal-Kaltleim nicht möglich ist.

Zum Abschluß erzählte Ihno Fleßner etwas über Pendeluhren aus Glashütte. Er besitzt ja selbst einige Uhren von Strasser & Rohde. In der Universität Jena sollte er eine Uhr reparieren und entdeckte durch eine Glastür zwei weitere Strasser & Rohde-Uhren. Er dachte, daß es sich um die Besenkammer handele, weil Besen und Papierkorb danebenstanden und schrieb einen recht deutlichen Brief an die Direktion. Er bekam eine ebenso deutliche Antwort, daß man ganz bewußt die Uhren dort aufgehängt hätte, weil es die Mauer war, auf der die Kuppel der Sternwarte stand und die deshalb besonders massiv war. Letztendlich bekam er aber doch den Auftrag, auch diese Uhren zu reparieren. Man hatte den Raum um die Uhren herum renoviert, in den zuvor auch öfters Wasser eingedrungen war. Die Gehäuse waren deshalb auch in einem jämmerlichen Zustand. Eine Uhr hat eine längs verstellbare Ankergabel mit einem seitlichen Gewicht, welches wohl erst nachträglich angebracht wurde. Dafür konnten wir nur vom Bild aus auch keine schlüssige Erklärung finden. Amüsiert berichtete er von einem früheren Besuch in der Werkstatt von Karl Friebel in Glashütte. Ich kenne diese Werkstatt auch noch. Man mußte eine enge, gewundene Treppe hinaufsteigen. Auf halber Höhe hatte Karl ein Schild angebracht: "Reparaturannahme jeden 3.Donnertag von 8-12 Uhr". So etwas war für Ihno Fleßner als Werkstattinhaber nicht so richtig zu verstehen.


Zum Abschluß bedankte sich einer der Teilnehmer im Namen aller noch einmal ausdrücklich und sehr herzlich bei Jürgen Ermert für die tolle Organisation, und wir spendeten lange Beifall. Es war wirklich sehr gelungen, die Vorträge sehr informativ und vor allem herrschte eine sehr offene Stimmung. Jeder konnte frei seine Meinung äußern, man merkte deutlich, daß die meisten dankbar für jedes Interesse sind und jeder versuchte, alles so sachlich wie möglich zu beantworten. Zu keinem Zeitpunkt hatte man das Gefühl, daß da nur gehobene Experten sitzen, die abfällig die Nase rümpfen, wenn einer mit weniger Vorkenntnis eine Elementarfrage stellt.

Wie Jürgen erzählte, gab es aber während der Arbeit an den Büchern immer wieder unschöne Erlebnisse, die nur schwer zu verstehen sind. Immerhin ist der Freundeskreis der Präzisionspendeluhren ein sehr kleiner Personenkreis, der alles dafür tun sollte, andere mitzunehmen und zu begeistern. Man kann weder reich noch berühmt damit werden. Warum gibt es dann immer noch Leute, die um die Rechte an einzelnen Bildern und Textpassagen bis vor Gericht ziehen? Geht es doch hier nicht um Bilder, die Millionen interessieren und dem Urheber Reichtum bringen könnten. Im Gegenteil, in unserem kleinen Kreis sollte jeder doch froh sein, wenn sich mindestens noch eine zweite Person dafür interessiert, es veröffentlicht und damit Werbung für diese Uhren macht. Ebenso unverständlich war für mich der Ärger mit der Weitergabe unserer Adressen, den Jürgen im Laufe der Organisation hatte. Dient das Treffen nicht vor allem dazu, neue Kontakte zu gewinnen und als fachkompetenter Ansprechpartner für solche Uhren bekannt zu werden? Da wird mit der Datenschutzkeule gedroht, und im nächsten Moment meldet man sich mit der gleichen Mailadresse bei Amazon oder sonstwo an. Hier würde ich mich freuen, wenn die Arbeit derjenigen, die so etwas auf die Beine stellen, mehr geachtet wird und man noch viel toleranter miteinander umgeht.

Samstag, 26. August 2017

Die Schweizer Ankerhemmung-nicht mehr zu toppen? Teil 4

Wege zur Verbesserung des Wirkungsgrades der Ankerhemmung

Aber auch die üblichen Ankerhemmungen bieten noch genug Möglichkeiten, beim Wissen um die Ursachen des schlechten Wirkungsgrades Verbesserungen vorzunehmen.

Man kann zunächst versuchen, die Nachteile der gewöhnlichen Palettenankerhemmung, wenn man sie kennt, zu mildern. Das beginnt bei einem leichten, elastischen und gut gelagertem Laufwerk. Sind die Räder so angeordnet, daß sich die Triebe und Räder weit voneinander entfernt auf der Welle befinden, dann wirkt jede Welle wie ein Torsionsstab und federt alle Stöße ab. Das wirkt allerdings nur bei größeren Uhren, bei Armbanduhren sind die Wellen im Verhältnis immer noch viel zu starr. Bei Armbanduhren ist die Klebewirkung des Öles von größerer Bedeutung, besonders beim Ankerrad-Lager. Hier sollte unbedingt die Decksteinlagerung zur Anwendung kommen, da die Begrenzung des Höhenspieles an den arrondierten Zapfenenden viel weniger Klebefläche bietet als Wellbaumansätze. Man sollte öfters mal die "Anlaufgüte" eines Laufwerkes überprüfen. Da man ganz gut hört, wann das voll aufgezogene Laufwerk nach dem Loslassen des Ankerrades seine Maximaldrehzahl erreicht hat, könnte man sogar diese Zeit stoppen und vergleichen. Erst wenn diese Zeit wesentlich kleiner als eine Halbschwingungszeit der Unruh ist, kann auch ausreichend Kraft übertragen werden.

 Da mit zunehmender Frequenz und Amplitude auch die Geschwindigkeit der Unruh im Nulldurchgang ansteigt, nimmt dann der Wirkungsgrad der Hemmung stark ab. Ich hatte mal einen Disput mit einem Kollegen, der meinte, die Amplitude würde nicht linear mit der Antriebskraft zunehmen. Wenn man über die verlorene Energie durch Zapfenreibung rechnet, kommt man aber auf eine lineare Abhängigkeit. Daß es trotzdem nicht so ist, liegt an dem mit zunehmender Amplitude abnehmenden Wirkungsgrad!
Bei höherfrequenten Schwingern kann man nur versuchen, das Ankerrad durch Erhöhung der Zähnezahl feiner zu teilen, damit es bei jeder Hebung nur einen kleinen Winkelschritt zurücklegen muß. Damit steigen natürlich die Anforderungen an die Genauigkeit enorm. Ein zentraler Sekundenzeiger ist übrigens Gift für den Wirkungsgrad, denn er bringt eine nicht zu unterschätzende Trägheit in die Getriebekette.
Die Hemmung einer Sekundenpendeluhr wird aufgrund der niedrigen Frequenz und Bewegungsgeschwindigkeit einen viel höheren Wirkungsgrad haben, bei diesen Uhren können wir getrost beim "Anschieben" in der Mittellage bleiben.

Besonders in der modernen Uhrmacherei hat sich die Meinung durchgesetzt, daß der Anker eine kurze Gabel haben sollte. Man begründet das oft mit der nachteiligen Wirkung der Trägheit des Ankers. Das Trägheitsmoment hängt ja mehr vom Radius als von der Masse ab. Schon Moritz Großmann habe das in seiner Preisschrift begründet, heißt es oft. Tatsächlich hat er es aber dort auch nur dahingestellt und keinesfalls wissenschaftlich begründet.
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß sich bei Frequenzen von 2,5 Hz ein langer Anker keinesfalls nachteilig auswirkt. Der Anker ist ja auch ein Getriebe im weitesten Sinne, er übersetzt durch seine unterschiedlichen Hebelarme Geschwindigkeiten und Kräfte. Und im getriebemäßigen Sinne muß die Ankergabel im Verhältnis zu den Klauen lang sein! Durch den langen Hebelarm auf der Seite der Unruh muß sie weniger Kraft für die Auslösung aufbringen. Umgekehrt wird der relativ langsame Impuls der Hebung zur Unruh hin durch die lange Gabel ins Schnelle übersetzt, verringert so die zuvor in dieser Betrachtung erkannten Nachteile. Ich war an der Entwicklung einer Hemmung mit extrem kurzer Gabel beteiligt und mußte mit erleben, wie das gründlich in die Hose gegangen ist. Die Uhr lief nicht nur ungewöhnlich schwer an, sie hatte auch eine zu niedrige Amplitude, sackte in den Hängelagen stark ab und ließ sich kaum regulieren.
Eine Ankerhemmung mit brauchbarem Wirkungsgrad sollte deshalb einen leichten, aber langgabeligen Anker haben. Es muß ja nicht gleich so extrem wie bei alten Jürgensen-Uhren sein, aber der Mann hat sich auch etwas dabei gedacht und sehr schöne, zarte Anker gebaut. Im Schnitt haben sich zehn Grad Ankerdrehwinkel und 30-40 Grad Hebewinkel an der Unruh bewährt. Damit die Ankerklauen im Verhältnis zur Gabel kurz bleiben, darf das Ankerrad nicht zu groß werden. Wenn ich mir die massigen Anker mancher "Präzisionsuhr" anschaue, gibt es dort noch riesige Reserven. Da werden Teile in 100 000 Euro-Uhren eingebaut, die man in der gleichen Qualität in einer Gebrauchsuhr der 60er Jahre finden kann.


Eine große Unzulänglichkeit der Ankerhemmung ist auch der Umstand, daß man entweder die Ruhereibung oder den Antriebsimpuls eingangs und ausgangs auf den gleichen Radius legen kann. Der Grund ist die Breite der Ankerpaletten, auf denen sich der Radzahn eingangs hin zur Achse, also mit sich verkürzendem Hebelarm und ausgangs weg von der Achse bewegt. Da die Ruhereibung die schlimmere Störung verursacht, sind ungleicharmige Anker präziser. Allerdings verliert man dann ausgangs sehr viel vom Impuls, weshalb man für höhere Frequenzen einen Kompromiß eingeht und halbungleicharmige Mischanker verwendet. Dabei wäre es einfacher, die Hebefläche am Anker zu verkleinern und auf den Radzahn zu legen. Dann erhält man eine Stiftankerhemmung, und schon Moritz Großmann hat diese mit Paletten konstruiert. Eine geniale Erfindung, die gleiche Ruhereibung UND gleiche Impulse liefert. Und die genau wie die englische Spitzzahn-Hemmung das Kleben der Paletten an den Hebeflächen verhindert. Warum sie sich nicht durchgesetzt hat?? Vielleicht muß man nur mal erkennen, was das Geniale an dieser Konstellation ist, statt sich mit konkaven und konvexen Hebeflächen an breiten Paletten herumzuschlagen. Oft kommt es auf den Blickwinkel an, auf den Filter, den man anwendet, um herauszufinden, was wichtig und was unwichtig ist. Jede Uhr ist ein Kompromiß, der unter Anwendung dieser Filter geschlossen wurde.

Die Schweizer Ankerhemmung-nicht mehr zu toppen? Teil 3

Der Antrieb über die Spiralfeder- ein Weg aus der Sackgasse?

Trotz aller Verbesserungen werden wir nicht viel Energie bis zur Unruh durchreichen können, wenn wir ihr "hinterherschieben". Die meiste Zeit ist das Laufwerk ja damit beschäftigt, sich selber in die Gänge zu bekommen. Wir müßten etwas haben, was gegen die Bewegungsrichtung des Schwingsystems wirkt, es sozusagen aufzieht. Wie bringen wir denn zum Beispiel die Unruh zum Schwingen, wenn wir eine Spirale abzählen? Wir halten sie mit der Spiralzange fest und versuchen, durch geschickte Drehbewegungen der Zange die Unruh so zum Schwingen zu bringen, daß sie auf dem Glas der Vergleichsuhr tanzt. Am besten gelingt uns das, wenn wir die Zange immer kurz gegen die augenblickliche Drehrichtung der Unruh auslenken und so die Spiralfeder kurz anspannen.
Die Hemmung, die so funktioniert, brauchen wir nicht zu erfinden, es gibt sie schon. Sie wurde von Clemens Riefler von seiner Pendeluhrhemmung auf die Unruh adaptiert. Es sind mir zwei Gangmodelle mit dieser Hemmung bekannt. das eine steht im Deutschen Museum in München, das andere ist im Besitz des Uhrenmuseums Furtwangen und kann zur Zeit im Uhrenmuseum Glashütte betrachtet werden.



Konzentrisch zur Unruhwelle ist darunter der Anker gelagert, an dem das äußere Ende der Spirale befestigt ist. Schwingt die Unruh durch den Nulldurchgang, wechselt auch die Kraftrichtung, mit der die Spirale gespannt wird. Dadurch wird der Anker auch auf die andere Seite gezogen. Er wirkt mit einem Doppelrad, bestehend aus Ruhe- und Heberad, zusammen. Die Spirale zieht also den Anker aus dem Eingriff zum Ruherad, wenn die Unruh den Nulldurchgang passiert. Die andere Ankerklaue trifft auf die schräge Fläche des Heberadzahns, das sich drehende Heberad dreht den Anker wieder in die entgegengesetzte Richtung, wodurch die Spirale ein Stück gespannt wird. Dadurch wird Federspannenergie in das Schwingsystem gegeben, und zwar fast verlustfrei, da gegen die Drehrichtung der Unruh! Hier muß also nichts hinterhereilen. (Man möge mir verzeihen, daß ich hier nicht über Reibung spreche, aber das sind Verluste, die in allen Mechanismen auftreten und die wir bei diesem Vergleich sozusagen "herauskürzen "können.)
Auch in Glashütte wurden mit dieser Hemmung Versuche gemacht, wahrscheinlich an der Uhrmacherschule. Jedenfalls existiert dieses umgebaute OLIW-Taschenuhrwerk. Um das Werk nicht zu sehr umbauen zu müssen, hat man den Anker nach der Seite verlegt. Der zusätzliche, eigentlich unnötige Gabeleingriff kostet aber zusätzlich Kraft, vielleicht müßte man das Werk auch überholen, um die Funktion beurteilen zu können. Als ich es probiert hatte, schaffte es das Hemmungsrad nicht, die Spirale zu spannen.



Leider hat diese Hemmung für Uhren zwei entscheidende Nachteile: Der Zeitpunkt der Auslösung, also wann im Schwingungsbogen der Impuls erfolgt, ist nicht definiert. Es hängt davon ab, wann die Spirale es schafft, die Reibung am Ruhezahn zu überwinden. Da niemals alle Zähne gleich sind, wird es auch von Zahn zu Zahn beim Auslösezeitpunkt Unterschiede geben. Nach der Auslösung wird die Spirale zwar immer um den gleichen Winkel gespannt. Da aber die Gegenkraft der Spirale ansteigt, je weiter die Unruh bereits ausgeschwungen ist, wird die Arbeit der Hemmung erschwert, je langsamer diese die Spirale spannt. Damit das Spannen schnell geschieht, muß das Drehmoment am Ankerrad höher sein als das Moment der Spirale im Umkehrpunkt, sonst würde ja auch der Anker das Rad wieder zurückdrehen. Das bedeutet aber, daß man ein viel höheres Drehmoment im Uhrwerk haben muß, als man zum reinen Betrieb des Schwingsystem bräuchte. Also nützt einem der zuerst scheinbar höhere Wirkungsgrad nicht viel.
Der zweite Nachteil ist, daß sich das gesamte Schwingsystem mitsamt der Spiralbefestigung immer ein Stück verdreht, genau während der Auslösung. Damit setzt sich jede halbe Bewegung des Systems aus Schwingung und einem Stück reiner Rotation zusammen. Wenn Unruh und Spirale gemeinsam während der Auslösung rotieren und in dem Augenblick noch die Spirale gespannt wird, kann man nicht von einer zeitmäßig konstanten Bewegung sprechen. All das hat keinen guten Einfluß auf den Gang und hat mit Sicherheit den Durchbruch dieser Hemmung verhindert, obwohl sie schon lange bekannt ist. So findet man sie auch in Meyers Lexikon von 1898 beschrieben.




Freilich hat sie gerade für tragbare Uhren noch einen sehr großen Vorteil: es sind Amplituden über 360° möglich, sie kann nicht prellen.

Man könnte die Hemmung mit einem zweiten (Auslöse-)Anker ausstatten, der einen normalen Gabeleingriff hat und nur mit einem Ruherad zusammenwirkt. Dann hätte man einen exakten Auslösezeitpunkt gewonnen, aber den Vorteil der Prell-Freiheit verloren und auch noch viel mehr Reibung als zuvor, so daß man am Ende den gleichen Wirkungsgrad bekommen würde wie bei einer guten Ankerhemmung.

Die Dimensionierung einer derartigen Hemmung ist sicher schwer, da der Antriebsimpuls vom Drehwinkel des Ankers und der Federkonstante der Spirale abhängt. Um den Drehwinkel zu ändern, muß man jedesmal die Hemmung neu bauen. Die Federkonstante der Spirale bestimmt auch die Schwingungsdauer der Unruh und ist auch nicht frei wählbar.
Das hat auch Christian Klings zu spüren bekommen, der aber das Prinzip des Antriebes über die Spannung der Spirale auf geniale Weise mit dem Tourbillon kombiniert hat. Er hat seine Hemmung "Freebalance" genannt.



Es gibt einen fest montierten Zahnkranz, der die Funktion des Hemmungsrades übernimmt. Die Kraft des Uhrwerkes treibt ein Gestell an, in dem konzentrisch die Unruh gelagert und das äußere Ende der Spirale befestigt ist. Außerdem befindet sich darin eine Art Chronometerwippe, die verhindert, daß sich das Gestell ohne weiteres drehen kann. Die Unruh löst die Wippe dann aus, wenn sie sich entgegengesetzt zur Drehrichtung des Gestells bewegt. So wird bei jeder Auslösung und Drehung des Gestells die Spirale immer um das gleiche Stück gespannt. Diese Konstruktion hat nun einen exakten Auslösezeitpunkt und eine hundertprozentige Weitergabe der Kraft auf das Schwingsystem.



Natürlich wäre es zu schön, wenn wir jetzt von der idealen Hemmung sprechen könnten. Wenn man die Anordnung genau betrachtet, ist es nichts anderes als ein Nachspannwerk, was direkt auf die Spiralfeder der Unruh wirkt und hat auch die meisten Vor- und Nachteile einer solchen Konstruktion geerbt. Der Vorteil ist außer der vollständigen Kraftübertragung auch der konstante Spannwinkel der Spirale. Sie wird aber nachteilig beeinflußt von dem ungleichmäßigen Auslösewiderstand an der Wippe. Während bei der Riefler'schen Hemmung die Spirale den Anker immer in die Ruhe hineindrückt und man keinen Zugwinkel braucht, ja sogar die Ruhefläche eine ganz leichte Hebung bekommen könnte, muß hier die Wippe trotz der Desmodromik durch leichten Zug gesichert werden. Dadurch steigt der Auslösewiderstand mit der Kraft der Zugfeder, so daß hier bei Vollaufzug die Amplitude noch mehr absinkt. Außerdem wird wie bei allen Nachspannwerken ein Teil der Federkraft der Zugfeder einfach gekappt, denn es kommt nur darauf an, ob der Antrieb es schafft, die Spirale zu spannen oder nicht. Wenn er es schafft, ist es der Spirale egal, mit welchem Kraftüberschuß das geschieht. Die Antriebskraft muß hier aber wesentlich größer sein, als man es zum Spannen der Spirale benötigen würde. Sie muß so groß sein, daß sie größer als die maximale Spannung der Spirale im Umkehrpunkt ist. Sonst wird zwar die Spirale zunächst im Durchgang gespannt. Wenn aber die Unruh weiter ausschwingt, spannt sie ja die Spirale weiter, und zwar gegen die Antriebskraft des Uhrwerkes. Ist diese zu klein, wird das Gestell von ihr rückwärts gedreht und der Radzahn hebt vom Ruhestein ab. Im Bild unten erkennt man eine Art zweiten Anker, der über ein Sperrad gleitet. Damit hat Christian diesem Übel versucht beizukommen. Denn er stellte fest, daß die Hemmung sehr leicht anläuft und auch mit sehr wenig Kraft auskommt, wenn dieser Nachteil nicht wäre. Für das enge Kraftfenster dieser Hemmung brauchen wir also einen Antrieb mit Kette und Schnecke und eine Blockierung der Unruh am Ende der Gangdauer.


Auch Karl Geitz hat sich mit Hemmungen beschäftigt, die den Antriebsimpuls über die Spiralfeder erteilen. Seine Hemmung nutzt genau den Schwachpunkt, daß sich das angetriebene Gestell rückwärts drehen kann, wenn die Spiralspannung die Antriebskraft übersteigt, zur Funktion aus. Durch die Rückwärtsbewegung wird eine Klinke gelöst, das von ihr blockierte Gestell wird frei und schubst die Spirale an. Und hier schließt sich der Kreis meiner kleinen Beschreibung, denn es geschieht genau wie bei Miki Eletas Mechanik am Endpunkt der Schwingung in Richtung der Bewegung, und das auch mit einem hohen Wirkungsgrad, da das Spannen oder Anschieben ja dann passiert, wenn das Schwingsystem fast stillsteht.



Die Schweizer Ankerhemmung-nicht mehr zu toppen? Teil 2

Einteilung der Hemmungen in Resonanz- und Sperrschwinger

Seit es mechanische Uhren gibt, werden zwei Wege beschritten, um die Drehzahl des Laufwerkes konstant zu halten, was ja mit dem genauen Gang einer Uhr gleichbedeutend ist. Begonnen hat man (ohne sich vielleicht darüber bewußt zu sein) eine Schwingung durch das Laufwerk selbst zu erzeugen und diese dann durch ein Schwingsystem zu stabilisieren. Als Kinder haben wir uns ein Kunststoffplättchen mit einer Klammer an der Schutzblechstrebe am Fahrrad befestigt. Wenn es an den Speichen kämmte, geriet es in Schwingungen und imitierte so ein Motorengeräusch. Die einfachste Möglichkeit, mit dem Laufwerk eine Schwingung zu erzeugen, wäre also, ein Zahnrad zu nehmen und mit dessen Zähnen eine Blattfeder zum Schwingen anzuregen. Die Antriebskraft des Laufwerkes selbst erregt die Schwingung. Statt der Blattfeder kann man auch einen Anker mit zwei Klinken (Grashopper-Prinzip), zwei Fahnen (Spindel) oder mit schrägen Hebeflächen(Haken) verwenden. Nach diesem Prinzip funktionierten schon die ersten Spindeluhren, die kein eigenständiges Schwingsystem haben. Es gibt keine Spirale, die Waag wird durch die vom Laufwerk erzeugte Rückführung der Spindelhemmung selbst zurückgeworfen. Da die rücktreibende Kraft nicht konstant ist, ist es die Schwingungsdauer natürlich auch nicht. Um die Uhr regulierbar zu machen, hat man die Waag gegen justierbare Schweinsborsten prellen lassen, eine Vorstufe des Feder-Masse-Schwingers. Erst später bekam die Waag oder eben die Unruh eine Spirale. Damit hatte man ohne es zu wissen ein ganz neues Funktionsprinzip eingeführt. Bisher erzeugte ja das Laufwerk allein die Schwingung. Nun hatte man ein eigenständiges Schwingsystem mit einer vom Laufwerk unabhängigen Eigenfrequenz. Da man nach wie vor die rückführende, nicht selbsthemmende Spindelhemmung verwendete, erregt zwar das Laufwerk über den Anker immer noch die Schwingung. Diese wird aber durch das Schwingsystem stabilisiert, indem zwischen der vom Laufwerk erzeugten Schwingung und der Unruh Resonanz auftritt und diese dem Laufwerk ihre Eigenfrequenz aufzwingt. Da die Resonanz nur dann auftritt, wenn die Frequenz der erzeugten Schwingung nicht zu weit von der Eigenfrequenz des Schwingsystems entfernt ist, muß durch die Dimensionierung der Hemmung und eine konstante Antriebskraft erst mal die Erzeugerfrequenz eingerichtet werden. Wer jetzt meint, das sei alles Schnee von vorgestern, der irrt gewaltig. Jede Quarzuhr funktioniert noch nach diesem Prinzip.

Auch mechanisch werden heute immer wieder Versuche unternommen, Uhren nach dem Resonanzprinzip zu bauen. Junghans hat beispielsweise aus der ganz anderen Motivation heraus, einen lautlosen Ablauf zu erreichen, einen Wecker mit einer magnetischen Hemmung gebaut. Das umlaufende "Ankerrad" hat einen gezahnten, magnetisierten Reif. Dieser läuft durch die magnetischen Enden einer Stimmgabel, so daß diese vom Laufwerk zum Schwingen in ihrer Eigenfrequenz angeregt wird. Dadurch synchronisiert sie wiederum die Ablaufgeschwindigkeit des Räderwerkes.



Diese Hemmung funktioniert nur dann, wenn die Drehzahl des Ankerrades ohne die Stimmgabel nur wenig größer ist, keinesfalls darf sie unter die geregelte Drehzahl abfallen.
Die Firma De Bethune hat eine Armbanduhr mit einer ähnlichen Hemmung "Resonique" auf den Markt gebracht.

Da die meisten Hemmungen, die nach dem Resonanzprinzip arbeiten, rückführend sind , haben sie auch einen sehr guten Wirkungsgrad. Das Laufwerk muß ja nicht wie bei ruhenden oder freien Hemmungen warten, bis der Schwinger durch den Nullpunkt rast.  Vielmehr kann es vom Nullpunkt an schon Energie übertragen und sich in Ruhe gemeinsam mit dem Schwinger "mitbeschleunigen". Der Antrieb beginnt, so wie Miki sich das an seinem Kinderschaukel-Beispiel vorgestellt hat, am Umkehrpunkt der Schwingung.

Das nutzt zum Beispiel die "Genequand-Hemmung". Es handelt sich dabei um eine rückführende Grashopper-Hemmung, an deren Ankerwelle ein Feder -Masse-Schwinger angebracht wurde. Es ist, wenn man genau hinschaut, nichts weiter als eine High-Tech-Variante dieser historischen Hemmung. Das Laufwerk selbst erzeugt die Schwingung und der Feder-Masse-Schwinger versucht, diese zu stabilisieren. Sozusagen der Hakenpflug aus Titan und Carbon unter den Hemmungen. Da man alles hochpräzise aus Silizium bauen kann, ohne Schmierung auskommt und die Frequenz hochsetzt, erreicht man brauchbare Gangergebnisse. Entscheidend ist hier der hohe Wirkungsgrad, die Uhr geht 70 Tage! Freilich ist es keine uhrmacherisch saubere Schwingung, denn rückführend wirken nicht nur die Silizium-Federchen, sondern auch das Laufwerk selbst und auch die Beinchen der Grashopper-Klauen. Man hat wohl versucht, das mit der aufgesetzten Stimmgabel zu kompensieren. Immerhin hat man zehn Jahre daran mit den Möglichkeiten eines wissenschaftlichen Instituts entwickelt, davon kann mancher Uhrmacher nur träumen.

Wir wollen hier nicht darüber philosophieren, ob die zerbrechlichen Silizium-Teilchen noch was mit Uhrmacherkunst zu tun haben. Es geht uns um das Wirkprinzip, das eigentlich mit der Erfindung der ruhenden Hemmungen von den Uhrmachern in den Papierkorb geworfen wurde und nun doch wieder interessant wird, weil eben hier nicht am für den Wirkungsgrad ungünstigen Nullpunkt der Impuls zugeführt wird, sondern während der ganzen Schwingung oder an deren Umkehrpunkten.

Mit der Einführung der ruhenden Hemmungen bediente man sich eines ganz anderen Wirkprinzips. Das Laufwerk kann selbst keine Schwingung mehr erregen, es wird gesperrt. Ohne Schwingsystem geht gar nichts. Dieses schwingt frei mit seiner Eigenfrequenz und schaltet genau im Nulldurchgang die Sperrvorrichtung, also den Anker, so um, daß ein Zahn durchgehen kann. Das Schwingsystem "entsperrt" also das Laufwerk in seinem Rhythmus, und zwar genau an dem Punkt, wo seine Bewegungsenergie am größten ist. Das aus gutem Grund, denn zum Entsperren wird ihm Energie entzogen, es wird zum Teil empfindlich gestört. Während man das noch durch die Qualität der Bauteile halbwegs beherrschen kann, ist der gleichzeitig im Nulldurchgang erteilte Antriebsimpuls in der Richtung der Bewegung der größte Nachteil. Keiner würde versuchen, sein Kind auf der Schaukel in der Senkrechten anzuschieben, die freie Hemmung muß das tun. Und nur so kann man bisher auch Uhren bauen, die sich mit handwerklichen Mitteln vernünftig auch bei niedrigen Frequenzen regulieren lassen. Uhren, die stoisch, egal, welche Kraft noch anliegt, immer gleichmäßig ticken. Das streben wir in der Uhrmacherei an und nennen es Isochronismus. Es hat eine lange Entwicklung bis dahin gebraucht, und ich möchte den Lesern mit dieser Untergliederung wieder klare Sicht verschaffen in dem High-Tech-Dschungel. Erhalten wir uns den Spaß an der Uhrmacherei. Um das zu schaffen, dürfen wir aber nicht stehenbleiben. Auch wenn ich hier keine 100%ige Lösung präsentieren kann, ich bin mir sicher, daß man auch eine Hemmung nach dem uhrmacherisch besseren Sperrschwinger- Prinzip bauen kann, die viel mehr Energie zum Schwingsystem überträgt als die gewöhnliche Ankerhemmung. Ziel sollte es sein, mit einer sauber arbeitenden Lösung eine niedrigfrequent schwingende, lange gehende Uhr zu bauen. Niedrigfrequent deshalb, weil wir doch das Spiel der Mechanik erleben wollen und unsere Uhr Ruhe und Gediegenheit ausstrahlen soll.


Nebenbei möchte ich noch auf eine geniale Uhr hinweisen, die von Herrn Ferner aus Niederau für den Hausmannsturm in Dresden geschaffen wurde. Die Uhr hat einen Anker, der auch Schwinger ist. Es ist ein Waagpendel, wie es früher verwendet wurde, um Regulatorwerke in Buffetuhren einbauen zu können. Alle, die schon mal so eine Uhr in den Händen hatten, wissen, daß es mit der Ganggenauigkeit nicht weit her ist. Das Waagpendel wird von einer Nadelhemmung angetrieben. Nun hängt hinter der Uhr noch ein schweres 2,5s-Pendel, was an sich völlig frei schwingt. Das Pendel ist mit einem Magneten an den Anker gekoppelt, durch den sich beide Schwinger synchronisieren. Das Waagpendel gibt die Antriebsimpulse an das Pendel weiter, und dessen präzise Schwingung stabilisiert die Waag. Schade, daß das sehr wenig bekannt ist.

Die Schweizer Ankerhemmung-nicht mehr zu toppen? Teil 1


Warum der Wirkungsgrad der Hemmung in Kleinuhren so gering ist

Jedes Jahr zur Baseler Uhrenmesse freue ich mich am meisten auf den Besuch des kleinen Standes der AHCI, denn hier bestimmt noch die Uhr selbst die Gestaltung der Ausstellungsfläche. Ich besuche dann fast immer Miki Eleta, einen Uhrenkünstler, der in Zürich seine Werkstatt hat und eigentlich von der Metallbildhauerei über die Gestaltung bewegter Objekte schließlich zu den Uhren gelangt ist. 
Dadurch ist er nicht von dem Zwang vieler Uhrmacher belastet, etwas so und nicht anders machen zu müssen, weil das die Generationen zuvor auch schon immer so getan haben. Voriges Jahr hatte er einen Uhrwerks-UFO kreiert. Umringt von kleinen grünen Männchen aus Glas stand da ein rundes, goldfarbenes Objekt auf schlanken Füßen. Auch im Gehäuse tummeln sich die Außerirdischen auf einer Spiegelfläche und passen auf, daß das große Federhaus am Platz bleibt.



 Wie immer muß man bei Mikis Uhren etwas rätseln, bis man weiß, auf welche Weise hier die Zeit angezeigt wird. Inmitten der Zahnräder und der waagerechten Zifferblätter erhebt sich ein Arm, an dessen Ende die Unruh schwingt. Es ist ein Nachspannwerk, das Gewicht des Armes liefert der Unruh den Antrieb. Ist der Arm fast waagerecht abgesunken, löst er das Federwerk aus, welches ihn wieder anhebt. Da Miki gerne mit Chronometerhemmungen experimentiert (auch seine Pendeluhren haben eine solche patentierte Hemmung), hat er auch hier eine Wippenhemmung verbaut.



Mir fiel sofort auf, daß die Hemmung hinkte, oder wir Uhrmacher würden sagen, der Abfall stimmt noch nicht. Ich meinte zu Miki: "Da hast Du es wohl vor der Messe nicht mehr geschafft, den Abfall zu ziehen?" Miki war entrüstet. "Ach, ihr Uhrmacher! Ihr denkt auch, daß alles immer so sein muß, wie ihr Euch das vorstellt! Wieso soll die Unruh genau dort ihren Schubs bekommen, wo sie am schnellsten ist? Wenn Du ein Kind auf der Schaukel anschiebst, dann machst Du das doch auch nicht in der Mitte der Schwingung! Du wartest, bis es am Umkehrpunkt ist, und dann schiebst Du an!"

Über diesen Satz mußte ich eine Weile nachdenken. In der Uhrmacherei legen wir immer den Angriffspunkt der Hemmung in den Nulldurchgang. Das hat für uns sehr viele Gründe. Den ersten hat auch Miki zu spüren bekommen, denn er meinte, er habe eine ganze Weile gebraucht, die Uhr so weit zu bringen, daß sie nicht stehenbleibt. Nur wenn der Impuls im Nulldurchgang kommt, kann die Uhr ja auch von alleine anlaufen. Verschieben wir die Impulslage, bleibt die Uhr stehen, wenn die Amplitude so klein wird, daß die Unruh die Hemmung gar nicht mehr erreicht. Andere Gründe finden wir in "Feinstellung der Uhren" von Giebel und Helwig. Die Impulse, die die Hemmung entzieht und ausgibt, wirken beschleunigend und verzögernd auf die Schwingungsdauer der Unruh. Das hängt davon ab, ob sie vor oder nach der Mittellage erfolgen, bremsend oder antreibend wirken. Da die Ankerhemmung symmetrisch arbeitet (jedenfalls sollte sie das), heben sich die Einflüsse der Impulse links und rechts Einflüsse auf, wenn ihr Einfluß genau auf den Nulldurchgang ausgerichtet ist, oder anders gesagt, wenn auf der Zeitwaage die schöne Linie erscheint und keine Pferdewagenspur.

Trotzdem tut die Ankerhemmung genau das, was kein Vater mit seinem Kinde auf der Schaukel tun würde, sie schiebt genau in der Mitte der Schwingbewegung an. Wenn unser Kind besonders hoch schaukelt, könnten wir gar nicht so schnell schieben, um ihm noch einen Antrieb zu vermitteln, wenn es mit hoher Geschwindigkeit durch die Senkrechte saust. Und das ist mit der Ankerhemmung nicht anders. Die meisten Ankerhemmungen haben nur Wirkungsgrade um 40%, und trotzdem wird die Konstruktion als der Endpunkt einer Entwicklung angesehen, als das perfekte, nicht zu toppende Konstrukt! Wenn wir nur auf 80% kämen, könnte unsere Uhr doppelt so lange gehen!

Stellen wir uns doch mal die Bewegungen vor unserem geistigen Auge vor. Die Unruh kommt aus dem Umkehrpunkt und wird von der gespannten Spirale beschleunigt. Wenn sie fast am schnellsten ist, reißt sie den Anker schlagartig aus dem Eingriff. Dabei schubst der das Ankerrad zunächst mal rückwärts, denn der Zug muß ja überwunden werden. Erst jetzt kann das Laufwerk anfangen, das Hemmungsrad zu beschleunigen. Bis der Radzahn dann endlich an der Hebefläche der Palette angelangt ist, hat sich diese schon ein ganzes Stück weiter bewegt. Ich habe an einer alten Taschenuhr, die vielleicht auch schon mal mit Diamantpulver in Berührung gekommen ist, gesehen, daß die Ankerpalette eingelaufen war. Aber nur im letzten Drittel der Hebefläche, der vordere Teil war unberührt!

Selbst wenn der Radzahn nun endlich auf die Hebefläche drücken kann, wird diese von der Unruh vom Zahne weggezogen. Der übertragene Impuls ist also nur so stark, wie das Laufwerk sich schneller bewegen kann als die von der Unruh bereits beschleunigte Ankerklaue. Na ja, perfekt ist irgendwie anders. Um der Sache nun auf den Grund zu gehen, müssen wir erst mal die dahinter steckenden Prinzipien versuchen zu verstehen.

Donnerstag, 15. Juni 2017

Tourbillon Nr.2 von Christian Klings Teil 3

Die zweite Unzulänglichkeit der Chronometerhemmung hat ihre Ursache darin, daß die Unruh nur in einer Richtung einen Antriebsimpuls erhält. Solange die Uhr geht, können wir uns an dem schönen Klang und dem sauberen Gang erfreuen, aber was passiert, wenn die Uhr abgelaufen war und steht? Sie wird entweder kurz vor dem Auslösen der Hemmung stehenbleiben, wo die Spiralfeder der Unruh keine Kraft mehr hat, den gefederten Hebel mit seinem Stein aus der Verzahnung des Hemmrades zu ziehen. Oder sie bleibt hinter dem Hebel stehen, weil sie keine Kraft mehr hatte, die Goldfeder zu überwinden. Ohne Schubs von außen kann sie nicht wieder anlaufen. Christian wollte auf keinen Fall, daß man die empfindliche Uhr nach dem Aufziehen jedesmal anschütteln muß. Deshalb hat er eine Vorrichtung ersonnen, bei der vom Getriebe der Gangreserve gesteuert, die Uhr kurz vor Ablauf ganz definiert angehalten wird. Das muß ja so geschehen, daß die Unruh genug ausgelenkt und somit die Spirale so gespannt ist, daß ihre Energie genügt, um beim ersten Lösen sofort die Hemmung auszulösen. Das Anzeigerad der Gangreserve-Anzeige besitzt dafür eine Gabel mit zwei unterschiedlich langen Hörnern. Darüber befindet sich eine unter der Minutenbrücke in Steinen gelagerte Welle, in der ein abgewinkelter und deshalb wie ein Hebel wirkender Stift eingeschlagen ist. Der Stift ragt mit seinem Ende in die Gabel auf dem Gangreserverad, so daß die Welle gedreht wird, sobald die Gangreserveanzeige auf Null zugeht. Da sich diese sehr langsam bewegt, kann man aber damit keine punktgenaue Auslösung einer Funktion erreichen. Christian hat deshalb auf den abgewinkelten Stift noch eine Rastfeder wirken lassen und alle Funktionen so gestaltet, daß sie erst passieren, wenn der Stift langsam die Spitze der Rastfläche erreicht hat und die Welle von der Feder blitzschnell in die Endlage gedrückt wird.
In einer Bohrung der Welle ist nun eine sehr zarte, am Ende abgewinkelte Blattfeder befestigt. Christian hat sie mit einem konischen Stift verkeilt und kann deshalb nachträglich noch bequem die richtige Länge der Feder einjustieren.
Bei den Helwig'schen Tourbillonkäfigen hat der untere Teil immer die Form eines durchgehenden Reifes. An diesen legt sich nun das abgewinkelte Ende der Feder an. Deren Kraft muß so abgestimmt sein, daß die Uhr trotz der Reibung durch die Feder noch weiterläuft. Eine Stelle des Käfigumfanges ist nun so hakenförmig eingekerbt, daß die Feder abrupt einfällt, wenn sie diese Stelle erreicht.
Eine Schraube der Unruh trägt einen Stift, der nun an die Feder anschlägt und die Unruh stoppt. Und zwar genau so, daß die Spirale noch genug Spannung aufweist.

Ziehen wir die Uhr jetzt auf, bewegt sich die Gangreserve-Anzeigemechanik langsam in die andere Richtung und dreht die Welle über den abgewinkelten Stift aus dem Eingriff zu Unruh und Käfig heraus. Würde jetzt die Feder genau so langsam vom Stift der Unruh weg bewegt werden, würde sie mehr oder weniger noch an der Feder schleifend anlaufen. Deshalb hatte Christian ja die Raste vorgesehen, um dem Hebel eine schnelle Bewegungsphase zu geben. Damit die Unruh erst dann frei wird, hat er den Stift im Unruhreif konisch, nach außen leicht dicker werdend gestaltet. So verhakt sich die zarte Feder zunächst unter dem Stift, wird etwas gespannt und erst dann schlagartig aus dem Eingriff gerissen, wenn sich auch die Welle getrieben von ihrer Rastfeder, schnell bewegt.


Ich habe es von der ersten Skizze selbst nicht ganz verstanden und mußte es mir von Christian mehrmals erklären lassen. Und der Leser wird den Abschnitt bestimmt auch nicht nur einmal lesen, bis er den Ablauf kennt. Daran merkt man, wie viele Gedanken und Versuche eines einzelnen Künstlers darin stecken, bis alles so zusammenspielt, daß es die gewünschte Wirkung unter allen Bedingungen zeigt.
Nun kann der Besitzer das Kunstwerk mit ruhigem Gewissen in der Schatulle ruhen lassen und bei besonderen Anlässen vorzeigen, es wird bei jedem Aufziehen sicher starten.

Typisch für Christians Uhren sind die abgerundeten Stegkloben, die wir hier auch beim Tourbillon und Sekundenrad finden. Die blaue Stahlspirale arbeitet natürlich mit einer Bimetall-Kompensationsunruh zusammen, die Steine sind in verschraubten Chatons gefaßt, alle Teile geschliffen und mit polierten Anglierungen versehen, die dem Werk Konturen und Feuer verleihen. Solche Beschreibungen kann man in fast jedem Prospekt beliebiger Luxusuhren-Manufakturen lesen, deshalb hier nur am Rande das beschrieben, was man ohnehin sieht.

Das einfache, massive Goldgehäuse hat er ebenso selbst angefertigt wie das Zifferblatt . Die römischen Ziffern hat er selbst graviert, schließlich diente ihm diese Uhr ja als Schul- und Probierobjekt. Sie ist seine ganz private Schuluhr, und die fein geschliffenen Fasen der beiden Gläser verraten den feinen Sinn des Erbauers für das Detail. Nun ist allerdings die Zeit gekommen, diesen Sinn nicht in der Schatulle einzuschließen, sondern nach außen zu tragen und weiterzugeben. Möge deshalb diese Uhr einen Besitzer finden, der um den Wert dieser Geschichte weiß.

Sonntag, 4. Juni 2017

Tourbillon Nr. 2 von Christian Klings Teil 2

Die zum Teil völlig falschen Vorstellungen und Erwartungen entstehen schon durch den Begriff "Chronometerhemmung". Landläufig verstehen die Leute unter Chronometer eine sehr genau gehende Uhr, konstruiert  für die Seefahrt. Die meisten von diesen Uhren haben eine Hemmung, bei der das Hemmrad ohne Anker direkt auf die Unruh wirkt. Das hat sich bewährt, denn für die rauhen Bedingungen auf See brauchte man eine Uhr, die unempfindlich auf die dadurch bedingten Veränderungen der Eigenschaften des Öles war. Daher bekam diese Hemmung ihren Namen. Heute meinen aber die meisten, sie heiße deshalb so, weil durch sie die Uhr gleich mal um Größenordnungen genauer gehe. Das ist ein weit verbreiteter Irrglauben, und da Christian schon einige Uhren mit dieser Hemmung gebaut hat, kann er ein Lied von enttäuschten Sekundenfuchsern singen.


vor der Auslösung


Impuls


Rückschwung mit Ausheben der Goldfeder

Dabei hat diese Hemmung auch ihre Schwächen und kann eine schlecht gemachte und regulierte Uhr nicht retten. Aber warum dann die ganze Mühe, ihre Unzulänglichkeiten auszumerzen, wenn die Uhr am Ende nicht meßbar genauer geht als mit der altbewährten Ankerhemmung?

Um diese Frage zu beantworten, wollen wir Christians Uhr doch einmal aufziehen. Nach einigen wenigen Drehungen an der Krone wird sie sicher anlaufen. Sie schwingt langsamer, als wir es gewohnt sind, die Unruh macht in der Sekunde nur zwei volle Schwingungen. Wir werden feststellen, daß der Blick auf die langsam schwingende Unruh mit der gleichmäßig atmenden, gebläuten Stahlspirale sehr beruhigend wirkt und etwas majestätisches hat. Aber erst, wenn wir unser Ohr ans Gehäuse halten und dem Geräusch lauschen, werden wir verstehen. Wir hören nicht das gewohnte hektische Ticken, sondern ein zartes rhytmisches Geräusch, was mich immer an das Arbeiten einer Dampfmaschine erinnert. Bei uns gibt es in der Nähe einen Verein, der so eine Maschine pflegt und jedes Jahr ein Fest veranstaltet, und irgendwie gibt es für mich eine Verbindung zwischen dieser Maschine und einer Uhr mit Chronometerhemmung. Jedenfalls höre ich beides gern und es hat einen sehr beruhigenden und ausgleichenden Effekt. Ist das nicht viel mehr als eine halbe Sekunde Genauigkeit pro Tag besser zu gehen?
Beobachtet man das Hemmrad, scheint es fast, als würde es stillstehen, wenn man nur auf die Zähne und nicht auf die Schenkelung schaut. Denn es bewegt sich sehr schnell schrittweise genau um eine Zahnteilung weiter und stößt dabei die Unruh an.

Die Chronometerhemmung ist also eine einseitig wirkende Hemmung. Bei Christians Uhr finden wir einen an einer sehr zarten Feder etwas gelenkig befestigten Hebel, wobei Hebel und Feder aus einem Stück  gefertigt sind. Der Hebel trägt einen Stein, der in die Verzahnung des Hemmrades greift und so verhindert, daß die Räder unkontrolliert loslaufen. Ein Finger an der Unruhwelle zieht nun diesen Hebel leicht nach links, wenn die Unruh durch ihren Nulldurchgang schwingt. Sie trägt einen zweiten Finger, der so angeordnet ist, daß in dem Moment, wo das frei gewordene Hemmrad loslaufen will, dessen Zahn dort anstoßen muß und die Unruh somit anschiebt. Mittlerweile fällt der gefederte Hebel ab und in seine Ruhelage zurück, so daß immer nur ein Zahn des Hemmrades durchgehen kann. Das ist ein umlaufender Vorgang, was bedeutet, daß er sich bei jeder Umdrehung der Unruh in Uhrzeigerrichtung wiederholen würde. Hätte diese keine Spiralfeder, könnten wir sie auf diese Weise sogar dauerhaft rotieren lassen, was bestimmt nicht im Sinne des Erfinders wäre. Aber auch mit Spirale besteht diese Gefahr, denn durch einen Stoß beim Tragen kann die Unruh so einen starken Impuls bekommen, daß sie mehr als eine Umdrehung ausschwingt und zweimal durch die Hemmung geht. Das nennt man galoppieren, und es ist eine Unsicherheit dieser Hemmung, die man mit geeigneten Vorrichtungen ausschließen muß.


Da nun aber die Unruh nicht rotiert, sondern schwingt, muß sie auch gegen den Uhrzeigersinn drehend mit ihrem Finger an dem federnden Hebel vorbei, ohne wesentlich in ihrer Bewegung gestört zu werden. Zu diesem Zwecke befindet sich auf dem federnden Hebel eine noch zartere Feder aus Gold, die das Durchgehen in der anderen Drehrichtung erlaubt. Wenn wir genau hinhören, können wir ihren feinen Klang wahrnehmen.

Um das Durchgaloppieren zu verhindern, nutzt Christian Klings die Bewegung der Spiralklinge aus. Er hat das nicht erfunden, aber verbessert. Auf einem Schenkel der Unruh befindet sich ein zarter, nach oben ragender Stift, der genau zwischen zwei in einem Arm des Tourbillonkäfigs befestigten Stiften hindurchgeht. In der Nähe dieser beiden Stifte ist an der Spiralklinge ein kleines, von unten tunnelförmig ausgespartes Messingfähnchen befestigt. Befestigt klingt sehr lapidar, denn in der Uhrmacherei wird im Uhrwerk nichts geklebt oder gar gelötet. Christian hat mit einem selbst gefertigten Fräser das Fähnchen an seinem etwas verdickten Ende geschlitzt. Er hat den Fräser so lange angepaßt, bis sich das Fähnchen mit dem Schlitz straff über die Spiralklinge schieben ließ. So wird die Spiralklinge überhaupt nicht verformt, was für einen stabilen Gang der Uhr sehr wichtig ist. Wenn die Unruh schwingt, dann atmet die Klinge der Spiralfeder mit dem Fähnchen hin und her, und zwar um so stärker, je mehr die Unruh ausschwingt. Schwingt sie weniger als eine Umdrehung aus, so ist die tunnelförmige Aussparung in dem Fähnchen breit genug, daß der Stift auf dem Unruhschenkel ungehindert hindurch schwingen kann. Der Stift ist so angeordnet, daß er, kurz bevor die Unruh die Hemmung ein zweites Mal auslösen würde, wieder vor dem Fähnchen steht. Jetzt ist die Spiralklinge mit dem Fähnchen aber so weit ausgelenkt, daß der Stift der Unruh es seitlich der Aussparung trifft und gegen die beiden Stifte am Käfig drückt, wodurch die Unruh zart, aber nachdrücklich am Weiterschwingen gehindert wird. Christian hat die Anordnung so gewählt, daß die Spirale dabei auf Zug beansprucht wird.

Durchgang bei normaler Amplitude 


Blockade der Unruh vor dem Prellen

Samstag, 27. Mai 2017

Tourbillon Nr. 2 von Christian Klings Teil 1


Da ich selbst auch Uhren entwerfe, werde ich oft mit der Frage konfrontiert, was ich denn da den ganzen Tag tue. Schließlich gibt es ja alle erdenklichen Sorten von Uhren, und fast alles, was wir bauen, gab es in etwas anderem Gewande sicher schon einmal. Und wenn man einfach nur wissen will, wie spät es ist, kann man diese Information von allen möglichen Quellen und Kanälen beziehen.

Trotzdem werden auch heute Uhren erdacht und gebaut. Für die einen ist es ein besonderer, persönlicher Schmuck, für andere eine nüchterne Geldanlage, auch Repräsentation und Sammelleidenschaften spielen heute eine Rolle.

Es gibt aber auch Menschen, für die ist eine Uhr, der sie eine Person zuordnen können, so etwas wie in Metall geformte Lebenszeit und Energie dieses Menschen. Sie kann die Geschichte dieses Stück Lebens, in der sie entstand, erzählen.

Im Falle von Christian Kling's Taschenuhr mit Tourbillon Nr.2 sind es 15 Lebensjahre, in denen er sich immer wieder mit ihr beschäftigte. Denn sie wurde ursprünglich nicht mit dem Ziel gebaut, eine Ware zu sein und verkauft zu werden. Christian Klings ist ein bedeutender selbständiger Uhrmacher unserer Zeit, der alleine in der Lage ist, komplette Kleinuhrwerke und die dazugehörigen Gehäuse zu bauen. Durch seine Armbanduhren mit Chronometerhemmungen und Tourbillons wurde er bekannt und hat besonders auf dem Gebiet, die Chronometerhemmung für den Einsatz in Armbanduhren tauglich zu machen, beachtliches geleistet. Aber er ist Uhrmacher und seine Uhren entstehen während der Arbeit aus einer Idee heraus. Es gibt keine kompletten Pläne vorher, nur Skizzen, zwischendurch auch mal Berechnungen und eben viel Ausprobieren. Gerade wenn man wie er vieles mit einfachen Maschinen und von Hand herstellt, ist es besser, zunächst mal ein etwas größeres Uhrwerk zu haben, um eine Idee zu testen und ihre beste Umsetzung auszuloten.
Christian begann deshalb 2001, ein kleines neusilbernes Taschenuhrwerk für diese Zwecke umzubauen. Sein Ziel war es, einen Tourbillonkäfig mit einer Feder-Chronometerhemmung so auszuführen, daß die beiden Hauptprobleme dieser Hemmung, das Durchgaloppieren und das Anhalten,  so zu beherrschen sind, daß die Uhr zuverlässig und benutzbar wird. Wenn bei diesen Begriffen jetzt beim Leser nur Fragezeichen auf der Stirne stehen, keine Sorge, ich werde versuchen, das in einem speziellen Abschnitt noch vertändlich zu erklären.

Er fertigte einen schönen großen Stahlkäfig in der für Glashütter Uhren typischen Omega-Form an, so wie sie Alfred Helwig verwendete. Alleine das ist in der Größe eine Meisterleistung. Der Laie wird jetzt meinen, aber kleiner ist doch schwieriger-verständlich. Denn um die Schwierigkeiten einschätzen zu können, muß man wissen, daß diese Stahlteile durch Glühen, Abschrecken und leichtes Erwärmen (das sogenannte Anlassen) gehärtet werden, damit sie sich polieren lassen und den mechanischen Beanspruchungen standhalten. Dabei verziehen sie sich oft mehr oder weniger und können sogar reißen.
Wir Uhrmacher möchten gerade in der heutigen Zeit die technischen Bestandteile der Uhr so formen und bearbeiten, daß sie schön und ästhetisch erscheinen. Denn dem Betrachter immer wieder, auch nach wiederholtem intensiven Anschauen, Freude zu bereiten, ist einer der Anliegen von uns Uhrmachern. Deshalb muß nun bei diesem komplizierten Käfig jede Fläche sauber poliert und vor allem jede Kantenbrechung bis in ihre spitz zulaufende Ecke ausgeschliffen und poliert werden.

Bei Christian Klings Taschenuhr kann der Betrachter sehr schön nachvollziehen, welchen Weg Kraft und Bewegung beim Tourbillon gehen. Wir sehen einen feinen, messingfarbenen Zahnkranz, der sich mit dem Gestell bewegt und seine Kraft aus dem federgetriebenen Laufwerk über das kleine stählerne Zahnrad in der Ecke bekommt. Der Käfig wird also angetrieben. Aber Kraft und Drehung sollen das massivgoldene Hemmungsrad der Federhemmung erreichen, damit es bei jeder Schwingung mit einem seiner Zähne die Unruh anschieben und diese so am Schwingen erhalten kann. Dazu sehen wir innen einen zweiten kleineren Zahnkranz, der fest auf der Platine montiert ist. An diesem rollt sich, wenn sich der Tourbillonkäfig dreht, das Trieb unseres Hemmungsrades ab und wird somit durch die Drehung des Käfigs gleichfalls in Rotation versetzt.

Aber wozu nun das Ganze? Die Erfindung stammt von Breguet, welcher erkannte, daß sich das System Hemmung-Unruh nie komplett auswuchten läßt und so die Schwerkraft den Gang der Uhr immer ändern wird, wenn man diese um die Achse der Unruh dreht. Also packte er eben alle Bestandteile des Systems Hemmung-Unruh gleich in einen Käfig und ließ ihn rotieren, so daß sich an den Zeigern alle schwerkraftbedingten Fehler ausmitteln.
Aber wir wissen ja auch aus Erfahrung, wo mehr Teile sind, gibt es auch mehr Probleme und Ärgernisse. Der Käfig selbst muß sehr genau ausgewuchtet sein, und das ist bei der komplizierten Form schon eine Herausforderung.

Da Christian ohne Hilfe von computergestützten Zeichenprogrammen arbeitet, die einem die Lage des Masseschwerpunktes sofort anzeigen, mußte er alles von Hand ausprobieren. So finden wir auch an diesem Käfig ein  großes und zwei kleine Gewichte, mit dem man das komplette Stück leichter auswuchten kann. Denn jedes Mal, wenn Christian etwas an seiner Hemmung oder dem Gestell veränderte, mußte er den Käfig hinterher neu wuchten.

Aber was hat Christian im Laufe der Jahre an dieser Uhr alles ausprobiert? Welche anderen Überlegungen und Ideen hat sie begleitet? Denn eines dürfte selbstverständlich sein: eine Uhr, die aus dem Leben erzählt, wird nicht perfekt sein. Sie hat die ganzen Ecken und Kanten, Erfolge und Enttäuschungen mitgemacht und Spuren davongetragen. Aber sie ist, wie ich schon sagte, etwas von dem, was für uns am kostbarsten ist, in Metall geformt: Lebenszeit, mit ihren Ideen, Träumen und Anschauungen. Sie gibt Zeugnis von Erfolgen und Irrwegen. Und nur, wenn man sie so sehen kann, wird man sich ungestört an ihr erfreuen.