Donnerstag, 15. Juni 2017

Tourbillon Nr.2 von Christian Klings Teil 3

Die zweite Unzulänglichkeit der Chronometerhemmung hat ihre Ursache darin, daß die Unruh nur in einer Richtung einen Antriebsimpuls erhält. Solange die Uhr geht, können wir uns an dem schönen Klang und dem sauberen Gang erfreuen, aber was passiert, wenn die Uhr abgelaufen war und steht? Sie wird entweder kurz vor dem Auslösen der Hemmung stehenbleiben, wo die Spiralfeder der Unruh keine Kraft mehr hat, den gefederten Hebel mit seinem Stein aus der Verzahnung des Hemmrades zu ziehen. Oder sie bleibt hinter dem Hebel stehen, weil sie keine Kraft mehr hatte, die Goldfeder zu überwinden. Ohne Schubs von außen kann sie nicht wieder anlaufen. Christian wollte auf keinen Fall, daß man die empfindliche Uhr nach dem Aufziehen jedesmal anschütteln muß. Deshalb hat er eine Vorrichtung ersonnen, bei der vom Getriebe der Gangreserve gesteuert, die Uhr kurz vor Ablauf ganz definiert angehalten wird. Das muß ja so geschehen, daß die Unruh genug ausgelenkt und somit die Spirale so gespannt ist, daß ihre Energie genügt, um beim ersten Lösen sofort die Hemmung auszulösen. Das Anzeigerad der Gangreserve-Anzeige besitzt dafür eine Gabel mit zwei unterschiedlich langen Hörnern. Darüber befindet sich eine unter der Minutenbrücke in Steinen gelagerte Welle, in der ein abgewinkelter und deshalb wie ein Hebel wirkender Stift eingeschlagen ist. Der Stift ragt mit seinem Ende in die Gabel auf dem Gangreserverad, so daß die Welle gedreht wird, sobald die Gangreserveanzeige auf Null zugeht. Da sich diese sehr langsam bewegt, kann man aber damit keine punktgenaue Auslösung einer Funktion erreichen. Christian hat deshalb auf den abgewinkelten Stift noch eine Rastfeder wirken lassen und alle Funktionen so gestaltet, daß sie erst passieren, wenn der Stift langsam die Spitze der Rastfläche erreicht hat und die Welle von der Feder blitzschnell in die Endlage gedrückt wird.
In einer Bohrung der Welle ist nun eine sehr zarte, am Ende abgewinkelte Blattfeder befestigt. Christian hat sie mit einem konischen Stift verkeilt und kann deshalb nachträglich noch bequem die richtige Länge der Feder einjustieren.
Bei den Helwig'schen Tourbillonkäfigen hat der untere Teil immer die Form eines durchgehenden Reifes. An diesen legt sich nun das abgewinkelte Ende der Feder an. Deren Kraft muß so abgestimmt sein, daß die Uhr trotz der Reibung durch die Feder noch weiterläuft. Eine Stelle des Käfigumfanges ist nun so hakenförmig eingekerbt, daß die Feder abrupt einfällt, wenn sie diese Stelle erreicht.
Eine Schraube der Unruh trägt einen Stift, der nun an die Feder anschlägt und die Unruh stoppt. Und zwar genau so, daß die Spirale noch genug Spannung aufweist.

Ziehen wir die Uhr jetzt auf, bewegt sich die Gangreserve-Anzeigemechanik langsam in die andere Richtung und dreht die Welle über den abgewinkelten Stift aus dem Eingriff zu Unruh und Käfig heraus. Würde jetzt die Feder genau so langsam vom Stift der Unruh weg bewegt werden, würde sie mehr oder weniger noch an der Feder schleifend anlaufen. Deshalb hatte Christian ja die Raste vorgesehen, um dem Hebel eine schnelle Bewegungsphase zu geben. Damit die Unruh erst dann frei wird, hat er den Stift im Unruhreif konisch, nach außen leicht dicker werdend gestaltet. So verhakt sich die zarte Feder zunächst unter dem Stift, wird etwas gespannt und erst dann schlagartig aus dem Eingriff gerissen, wenn sich auch die Welle getrieben von ihrer Rastfeder, schnell bewegt.


Ich habe es von der ersten Skizze selbst nicht ganz verstanden und mußte es mir von Christian mehrmals erklären lassen. Und der Leser wird den Abschnitt bestimmt auch nicht nur einmal lesen, bis er den Ablauf kennt. Daran merkt man, wie viele Gedanken und Versuche eines einzelnen Künstlers darin stecken, bis alles so zusammenspielt, daß es die gewünschte Wirkung unter allen Bedingungen zeigt.
Nun kann der Besitzer das Kunstwerk mit ruhigem Gewissen in der Schatulle ruhen lassen und bei besonderen Anlässen vorzeigen, es wird bei jedem Aufziehen sicher starten.

Typisch für Christians Uhren sind die abgerundeten Stegkloben, die wir hier auch beim Tourbillon und Sekundenrad finden. Die blaue Stahlspirale arbeitet natürlich mit einer Bimetall-Kompensationsunruh zusammen, die Steine sind in verschraubten Chatons gefaßt, alle Teile geschliffen und mit polierten Anglierungen versehen, die dem Werk Konturen und Feuer verleihen. Solche Beschreibungen kann man in fast jedem Prospekt beliebiger Luxusuhren-Manufakturen lesen, deshalb hier nur am Rande das beschrieben, was man ohnehin sieht.

Das einfache, massive Goldgehäuse hat er ebenso selbst angefertigt wie das Zifferblatt . Die römischen Ziffern hat er selbst graviert, schließlich diente ihm diese Uhr ja als Schul- und Probierobjekt. Sie ist seine ganz private Schuluhr, und die fein geschliffenen Fasen der beiden Gläser verraten den feinen Sinn des Erbauers für das Detail. Nun ist allerdings die Zeit gekommen, diesen Sinn nicht in der Schatulle einzuschließen, sondern nach außen zu tragen und weiterzugeben. Möge deshalb diese Uhr einen Besitzer finden, der um den Wert dieser Geschichte weiß.

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