Der
Antrieb über die Spiralfeder- ein Weg aus der Sackgasse?
Trotz
aller Verbesserungen werden wir nicht viel Energie bis zur Unruh durchreichen
können, wenn wir ihr "hinterherschieben". Die meiste Zeit ist das
Laufwerk ja damit beschäftigt, sich selber in die Gänge zu bekommen. Wir müßten
etwas haben, was gegen die Bewegungsrichtung des Schwingsystems wirkt, es
sozusagen aufzieht. Wie bringen wir denn zum Beispiel die Unruh zum Schwingen,
wenn wir eine Spirale abzählen? Wir halten sie mit der Spiralzange fest und
versuchen, durch geschickte Drehbewegungen der Zange die Unruh so zum Schwingen
zu bringen, daß sie auf dem Glas der Vergleichsuhr tanzt. Am besten gelingt uns
das, wenn wir die Zange immer kurz gegen die augenblickliche Drehrichtung der
Unruh auslenken und so die Spiralfeder kurz anspannen.
Die
Hemmung, die so funktioniert, brauchen wir nicht zu erfinden, es gibt sie
schon. Sie wurde von Clemens Riefler von seiner Pendeluhrhemmung auf die Unruh
adaptiert. Es sind mir zwei Gangmodelle mit dieser Hemmung bekannt. das eine
steht im Deutschen Museum in München, das andere ist im Besitz des Uhrenmuseums
Furtwangen und kann zur Zeit im Uhrenmuseum Glashütte betrachtet werden.
Konzentrisch
zur Unruhwelle ist darunter der Anker gelagert, an dem das äußere Ende der
Spirale befestigt ist. Schwingt die Unruh durch den Nulldurchgang, wechselt
auch die Kraftrichtung, mit der die Spirale gespannt wird. Dadurch wird der
Anker auch auf die andere Seite gezogen. Er wirkt mit einem Doppelrad,
bestehend aus Ruhe- und Heberad, zusammen. Die Spirale zieht also den Anker aus
dem Eingriff zum Ruherad, wenn die Unruh den Nulldurchgang passiert. Die andere
Ankerklaue trifft auf die schräge Fläche des Heberadzahns, das sich drehende
Heberad dreht den Anker wieder in die entgegengesetzte Richtung, wodurch die
Spirale ein Stück gespannt wird. Dadurch wird Federspannenergie in das
Schwingsystem gegeben, und zwar fast verlustfrei, da gegen die Drehrichtung der
Unruh! Hier muß also nichts hinterhereilen. (Man möge mir verzeihen, daß ich
hier nicht über Reibung spreche, aber das sind Verluste, die in allen Mechanismen
auftreten und die wir bei diesem Vergleich sozusagen "herauskürzen
"können.)
Auch
in Glashütte wurden mit dieser Hemmung Versuche gemacht, wahrscheinlich an der
Uhrmacherschule. Jedenfalls existiert dieses umgebaute OLIW-Taschenuhrwerk. Um
das Werk nicht zu sehr umbauen zu müssen, hat man den Anker nach der Seite
verlegt. Der zusätzliche, eigentlich unnötige Gabeleingriff kostet aber
zusätzlich Kraft, vielleicht müßte man das Werk auch überholen, um die Funktion
beurteilen zu können. Als ich es probiert hatte, schaffte es das Hemmungsrad
nicht, die Spirale zu spannen.
Leider
hat diese Hemmung für Uhren zwei entscheidende Nachteile: Der Zeitpunkt der
Auslösung, also wann im Schwingungsbogen der Impuls erfolgt, ist nicht
definiert. Es hängt davon ab, wann die Spirale es schafft, die Reibung am
Ruhezahn zu überwinden. Da niemals alle Zähne gleich sind, wird es auch von
Zahn zu Zahn beim Auslösezeitpunkt Unterschiede geben. Nach der Auslösung wird
die Spirale zwar immer um den gleichen Winkel gespannt. Da aber die Gegenkraft
der Spirale ansteigt, je weiter die Unruh bereits ausgeschwungen ist, wird die
Arbeit der Hemmung erschwert, je langsamer diese die Spirale spannt. Damit das
Spannen schnell geschieht, muß das Drehmoment am Ankerrad höher sein als das
Moment der Spirale im Umkehrpunkt, sonst würde ja auch der Anker das Rad wieder
zurückdrehen. Das bedeutet aber, daß man ein viel höheres Drehmoment im Uhrwerk
haben muß, als man zum reinen Betrieb des Schwingsystem bräuchte. Also nützt
einem der zuerst scheinbar höhere Wirkungsgrad nicht viel.
Der
zweite Nachteil ist, daß sich das gesamte Schwingsystem mitsamt der
Spiralbefestigung immer ein Stück verdreht, genau während der Auslösung. Damit
setzt sich jede halbe Bewegung des Systems aus Schwingung und einem Stück
reiner Rotation zusammen. Wenn Unruh und Spirale gemeinsam während der
Auslösung rotieren und in dem Augenblick noch die Spirale gespannt wird, kann
man nicht von einer zeitmäßig konstanten Bewegung sprechen. All das hat keinen
guten Einfluß auf den Gang und hat mit Sicherheit den Durchbruch dieser Hemmung
verhindert, obwohl sie schon lange bekannt ist. So findet man sie auch in
Meyers Lexikon von 1898 beschrieben.
Freilich
hat sie gerade für tragbare Uhren noch einen sehr großen Vorteil: es sind
Amplituden über 360° möglich, sie kann nicht prellen.
Man
könnte die Hemmung mit einem zweiten (Auslöse-)Anker ausstatten, der einen normalen
Gabeleingriff hat und nur mit einem Ruherad zusammenwirkt. Dann hätte man einen
exakten Auslösezeitpunkt gewonnen, aber den Vorteil der Prell-Freiheit verloren
und auch noch viel mehr Reibung als zuvor, so daß man am Ende den gleichen
Wirkungsgrad bekommen würde wie bei einer guten Ankerhemmung.
Die
Dimensionierung einer derartigen Hemmung ist sicher schwer, da der
Antriebsimpuls vom Drehwinkel des Ankers und der Federkonstante der Spirale
abhängt. Um den Drehwinkel zu ändern, muß man jedesmal die Hemmung neu bauen.
Die Federkonstante der Spirale bestimmt auch die Schwingungsdauer der Unruh und
ist auch nicht frei wählbar.
Das
hat auch Christian Klings zu spüren bekommen, der aber das Prinzip des
Antriebes über die Spannung der Spirale auf geniale Weise mit dem Tourbillon
kombiniert hat. Er hat seine Hemmung "Freebalance" genannt.
Es
gibt einen fest montierten Zahnkranz, der die Funktion des Hemmungsrades
übernimmt. Die Kraft des Uhrwerkes treibt ein Gestell an, in dem konzentrisch
die Unruh gelagert und das äußere Ende der Spirale befestigt ist. Außerdem
befindet sich darin eine Art Chronometerwippe, die verhindert, daß sich das Gestell
ohne weiteres drehen kann. Die Unruh löst die Wippe dann aus, wenn sie sich
entgegengesetzt zur Drehrichtung des Gestells bewegt. So wird bei jeder
Auslösung und Drehung des Gestells die Spirale immer um das gleiche Stück
gespannt. Diese Konstruktion hat nun einen exakten Auslösezeitpunkt und eine
hundertprozentige Weitergabe der Kraft auf das Schwingsystem.
Natürlich
wäre es zu schön, wenn wir jetzt von der idealen Hemmung sprechen könnten. Wenn
man die Anordnung genau betrachtet, ist es nichts anderes als ein
Nachspannwerk, was direkt auf die Spiralfeder der Unruh wirkt und hat auch die
meisten Vor- und Nachteile einer solchen Konstruktion geerbt. Der Vorteil ist
außer der vollständigen Kraftübertragung auch der konstante Spannwinkel der
Spirale. Sie wird aber nachteilig beeinflußt von dem ungleichmäßigen
Auslösewiderstand an der Wippe. Während bei der Riefler'schen Hemmung die
Spirale den Anker immer in die Ruhe hineindrückt und man keinen Zugwinkel
braucht, ja sogar die Ruhefläche eine ganz leichte Hebung bekommen könnte, muß
hier die Wippe trotz der Desmodromik durch leichten Zug gesichert werden.
Dadurch steigt der Auslösewiderstand mit der Kraft der Zugfeder, so daß hier
bei Vollaufzug die Amplitude noch mehr absinkt. Außerdem wird wie bei allen
Nachspannwerken ein Teil der Federkraft der Zugfeder einfach gekappt, denn es
kommt nur darauf an, ob der Antrieb es schafft, die Spirale zu spannen oder
nicht. Wenn er es schafft, ist es der Spirale egal, mit welchem Kraftüberschuß
das geschieht. Die Antriebskraft muß hier aber wesentlich größer sein, als man
es zum Spannen der Spirale benötigen würde. Sie muß so groß sein, daß sie
größer als die maximale Spannung der Spirale im Umkehrpunkt ist. Sonst wird
zwar die Spirale zunächst im Durchgang gespannt. Wenn aber die Unruh weiter
ausschwingt, spannt sie ja die Spirale weiter, und zwar gegen die Antriebskraft
des Uhrwerkes. Ist diese zu klein, wird das Gestell von ihr rückwärts gedreht
und der Radzahn hebt vom Ruhestein ab. Im Bild unten erkennt man eine Art
zweiten Anker, der über ein Sperrad gleitet. Damit hat Christian diesem Übel
versucht beizukommen. Denn er stellte fest, daß die Hemmung sehr leicht anläuft
und auch mit sehr wenig Kraft auskommt, wenn dieser Nachteil nicht wäre. Für
das enge Kraftfenster dieser Hemmung brauchen wir also einen Antrieb mit Kette
und Schnecke und eine Blockierung der Unruh am Ende der Gangdauer.
Auch
Karl Geitz hat sich mit Hemmungen beschäftigt, die den Antriebsimpuls über die
Spiralfeder erteilen. Seine Hemmung nutzt genau den Schwachpunkt, daß sich das
angetriebene Gestell rückwärts drehen kann, wenn die Spiralspannung die
Antriebskraft übersteigt, zur Funktion aus. Durch die Rückwärtsbewegung wird
eine Klinke gelöst, das von ihr blockierte Gestell wird frei und schubst die
Spirale an. Und hier schließt sich der Kreis meiner kleinen Beschreibung, denn
es geschieht genau wie bei Miki Eletas Mechanik am Endpunkt der Schwingung in
Richtung der Bewegung, und das auch mit einem hohen Wirkungsgrad, da das
Spannen oder Anschieben ja dann passiert, wenn das Schwingsystem fast
stillsteht.
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