Samstag, 26. August 2017

Die Schweizer Ankerhemmung-nicht mehr zu toppen? Teil 1


Warum der Wirkungsgrad der Hemmung in Kleinuhren so gering ist

Jedes Jahr zur Baseler Uhrenmesse freue ich mich am meisten auf den Besuch des kleinen Standes der AHCI, denn hier bestimmt noch die Uhr selbst die Gestaltung der Ausstellungsfläche. Ich besuche dann fast immer Miki Eleta, einen Uhrenkünstler, der in Zürich seine Werkstatt hat und eigentlich von der Metallbildhauerei über die Gestaltung bewegter Objekte schließlich zu den Uhren gelangt ist. 
Dadurch ist er nicht von dem Zwang vieler Uhrmacher belastet, etwas so und nicht anders machen zu müssen, weil das die Generationen zuvor auch schon immer so getan haben. Voriges Jahr hatte er einen Uhrwerks-UFO kreiert. Umringt von kleinen grünen Männchen aus Glas stand da ein rundes, goldfarbenes Objekt auf schlanken Füßen. Auch im Gehäuse tummeln sich die Außerirdischen auf einer Spiegelfläche und passen auf, daß das große Federhaus am Platz bleibt.



 Wie immer muß man bei Mikis Uhren etwas rätseln, bis man weiß, auf welche Weise hier die Zeit angezeigt wird. Inmitten der Zahnräder und der waagerechten Zifferblätter erhebt sich ein Arm, an dessen Ende die Unruh schwingt. Es ist ein Nachspannwerk, das Gewicht des Armes liefert der Unruh den Antrieb. Ist der Arm fast waagerecht abgesunken, löst er das Federwerk aus, welches ihn wieder anhebt. Da Miki gerne mit Chronometerhemmungen experimentiert (auch seine Pendeluhren haben eine solche patentierte Hemmung), hat er auch hier eine Wippenhemmung verbaut.



Mir fiel sofort auf, daß die Hemmung hinkte, oder wir Uhrmacher würden sagen, der Abfall stimmt noch nicht. Ich meinte zu Miki: "Da hast Du es wohl vor der Messe nicht mehr geschafft, den Abfall zu ziehen?" Miki war entrüstet. "Ach, ihr Uhrmacher! Ihr denkt auch, daß alles immer so sein muß, wie ihr Euch das vorstellt! Wieso soll die Unruh genau dort ihren Schubs bekommen, wo sie am schnellsten ist? Wenn Du ein Kind auf der Schaukel anschiebst, dann machst Du das doch auch nicht in der Mitte der Schwingung! Du wartest, bis es am Umkehrpunkt ist, und dann schiebst Du an!"

Über diesen Satz mußte ich eine Weile nachdenken. In der Uhrmacherei legen wir immer den Angriffspunkt der Hemmung in den Nulldurchgang. Das hat für uns sehr viele Gründe. Den ersten hat auch Miki zu spüren bekommen, denn er meinte, er habe eine ganze Weile gebraucht, die Uhr so weit zu bringen, daß sie nicht stehenbleibt. Nur wenn der Impuls im Nulldurchgang kommt, kann die Uhr ja auch von alleine anlaufen. Verschieben wir die Impulslage, bleibt die Uhr stehen, wenn die Amplitude so klein wird, daß die Unruh die Hemmung gar nicht mehr erreicht. Andere Gründe finden wir in "Feinstellung der Uhren" von Giebel und Helwig. Die Impulse, die die Hemmung entzieht und ausgibt, wirken beschleunigend und verzögernd auf die Schwingungsdauer der Unruh. Das hängt davon ab, ob sie vor oder nach der Mittellage erfolgen, bremsend oder antreibend wirken. Da die Ankerhemmung symmetrisch arbeitet (jedenfalls sollte sie das), heben sich die Einflüsse der Impulse links und rechts Einflüsse auf, wenn ihr Einfluß genau auf den Nulldurchgang ausgerichtet ist, oder anders gesagt, wenn auf der Zeitwaage die schöne Linie erscheint und keine Pferdewagenspur.

Trotzdem tut die Ankerhemmung genau das, was kein Vater mit seinem Kinde auf der Schaukel tun würde, sie schiebt genau in der Mitte der Schwingbewegung an. Wenn unser Kind besonders hoch schaukelt, könnten wir gar nicht so schnell schieben, um ihm noch einen Antrieb zu vermitteln, wenn es mit hoher Geschwindigkeit durch die Senkrechte saust. Und das ist mit der Ankerhemmung nicht anders. Die meisten Ankerhemmungen haben nur Wirkungsgrade um 40%, und trotzdem wird die Konstruktion als der Endpunkt einer Entwicklung angesehen, als das perfekte, nicht zu toppende Konstrukt! Wenn wir nur auf 80% kämen, könnte unsere Uhr doppelt so lange gehen!

Stellen wir uns doch mal die Bewegungen vor unserem geistigen Auge vor. Die Unruh kommt aus dem Umkehrpunkt und wird von der gespannten Spirale beschleunigt. Wenn sie fast am schnellsten ist, reißt sie den Anker schlagartig aus dem Eingriff. Dabei schubst der das Ankerrad zunächst mal rückwärts, denn der Zug muß ja überwunden werden. Erst jetzt kann das Laufwerk anfangen, das Hemmungsrad zu beschleunigen. Bis der Radzahn dann endlich an der Hebefläche der Palette angelangt ist, hat sich diese schon ein ganzes Stück weiter bewegt. Ich habe an einer alten Taschenuhr, die vielleicht auch schon mal mit Diamantpulver in Berührung gekommen ist, gesehen, daß die Ankerpalette eingelaufen war. Aber nur im letzten Drittel der Hebefläche, der vordere Teil war unberührt!

Selbst wenn der Radzahn nun endlich auf die Hebefläche drücken kann, wird diese von der Unruh vom Zahne weggezogen. Der übertragene Impuls ist also nur so stark, wie das Laufwerk sich schneller bewegen kann als die von der Unruh bereits beschleunigte Ankerklaue. Na ja, perfekt ist irgendwie anders. Um der Sache nun auf den Grund zu gehen, müssen wir erst mal die dahinter steckenden Prinzipien versuchen zu verstehen.

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